Nicht nur neue Gesetze für eine sichere digitale Kommunikation und Infrastruktur, sondern auch die Einflüsse und Erfahrungen aus der Corona-Pandemie förderten in den letzten Jahren Fortschritt und allgemeine Akzeptanz digitaler Lösungen in vielen Bereichen – so auch im Gesundheitswesen. Hierbei sind allerdings, im Vergleich zu anderen Branchen, weitaus höhere Anforderungen an Datenschutz und -sicherheit wie auch optimierte Vernetzung der Anwendungen notwendig. Neben modernen Videokonferenzlösungen, die im Gesundheitswesen in Form digitaler Sprechstunden in Erscheinung treten, werden derzeit auch noch andere Möglichkeiten digitaler Anwendungen relevant und sind im Begriff, in der Zukunft eine immer wichtigere Rolle einzunehmen.
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen wird vom Gesetzgeber seit geraumer Zeit gefördert und in ihrer Umsetzung forciert. Eine wichtige Rolle spielt dabei allerdings auch, eine stabile Akzeptanz dieser digitalen Möglichkeiten in der Bevölkerung beziehungsweise bei den Nutzern zu erreichen, um langfristig Vertrauen in diese Lösungen zu schaffen, was vor allem im Bereich Gesundheit und Pflege von immenser Bedeutung ist.
Durch Erlass diverser Gesetze – eines davon ist beispielsweise das „E-Health-Gesetz“ oder das „Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz” – wurde in den letzten Jahren bereits viel erreicht. Videosprechstunden sind vielen Menschen mittlerweile aus eigener Erfahrung bekannt. Trotzdem gilt es, noch weitere bestehende Hürden zu meistern, wie zum Beispiel den Aufbau einer durchdachten Strategie, sowohl im organisatorischen, technischen wie auch im medizinischen Kontext. In diesem Zusammenhang muss auch die Integration neuer Technologien in medizinische Abläufe und bestehende Systeme bedacht werden, um so die Erreichbarkeit und Nutzung der Systeme zu vereinfachen und die Benutzerfreundlichkeit und folglich die Akzeptanz zu erhöhen.
Stellenwert und Potenziale digitaler Anwendungen
„Der Videosprechstunde kommt als eines der frühesten digitalen Instrumente im Gesundheitswesen ein äußerst hoher Stellenwert zu“, erklärt Salima Houta, Business Development Executive – Healthcare von Pexip.
Die Anwendungsfelder von Videokonferenzen begrenzen sich allerdings nicht nur auf die reinen Patientensprechstunden, sondern erstrecken sich über interdisziplinäre Fallkonferenzen wie zum Beispiel Tumorboards bis hin zu psychotherapeutischer Akutbehandlung. Ebenso werden in Zukunft wohl vermehrt Remote-OPs oder auch die Notfallversorgung über digitale Anwendungen ausgeführt. Neben den medizinischen Einsatzszenarien kommen Videolösungen auch zur Beratung und Schulung zum Einsatz. Die Aus- und Weiterbildung von Fachpersonal über virtuelle Schulungen, erfährt damit durch die praxisnahe Einwahlmöglichkeit in telemedizinische Settings neues Potenzial. Auch Patienten und Angehörige profitieren von der virtuellen Beratung. Pflegeberatung sowie Schulung der digitalen Gesundheitskompetenz sind beispielsweise seit kurzem fest im Gesetz verankert.
Einsatzszenarien in der Pflege
„Laut Gesetz hat jeder pflegebedürftige Mensch ein Recht auf Pflegeberatung. Digitale Lösungen spielen auch hier eine große Rolle“, erläutert Houta. „So besteht auch die Möglichkeit, die Pflegeberatung in Form einer Videokonferenz anzubieten, was eine hervorragende Ergänzung zur telefonischen Beratung darstellt.“ Nicht nur der Patient, sondern auch die Angehörigen können so beispielsweise zum Thema Demenz oder Erhaltung der Mobilität digital betreut und unterstützt werden. Als Alternativkanal zu Beratungsgesprächen auf altbekannte Art, wird ihnen bereits jetzt eine große Akzeptanz entgegengebracht. Neue Potenziale ergeben sich auch durch die Einführung von digitalen Pflegeanwendungen. Diese erstattungsfähigen digitalen Anwendungen können durch digitale Übungen kombiniert mit Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Angehörigen und Pflegefachkräften gezielt zur Verbesserung der Pflege beitragen.
Interoperabilität im Gesundheitswesen
„Unter dem Begriff 'Interoperabilität' versteht man grundsätzlich die Fähigkeit des Zusammenspiels verschiedener Systeme innerhalb einer medizinischen Einrichtung. Dies kann aber auch darüber hinausgehen, wenn es darum geht, die Prozesse verschiedener Einrichtungen aufeinander abzustimmen“ erklärt Houta. „Auf der Dimension der Systeme ist es relevant, dass diese in der Lage sind Daten auszutauschen und zu interpretieren. Um dies zu erreichen werden Kommunikationsstandards definiert. In Deutschland wird dies zentral über die Gematik koordiniert und erfolgt unter anderem im Rahmen des Interoperabilitätsforums unter Beteiligung verschiedener Institutionen.“
Interoperabilität ist im Gesundheitswesen besonders wichtig, um die Prozesse durch einen medienbruchfreien Austausch von Daten so effizient wie möglich gestalten zu können, die Leistungserbringer zu entlasten und eine bessere Behandlungsqualität und Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten. Diese Aspekte kommen in ihrer Gesamtheit allen Akteuren zugute.
In Bezug auf telemedizinische Videokonferenzen tangiert technische Interoperabilität sowohl den Bereich der Software als auch der Hardware.
Die Integration der telemedizinischen Videokonferenzen in bestehende Softwaresysteme wie dem Terminmanagement im Krankenhausinformationssystem oder dem Patientenportal erleichtert und beschleunigt den Prozess der Terminierung von Videosprechstunden sowohl für Ärzte als auch für Patienten. Integration geht aber noch weiter. Überdies sind auch tiefere Integrationen mit medizinischen Informationssystemen im Hinblick auf eine effektive digitale Kommunikation auch von medizinischen Informationen zu adressieren. So kann durch Integration nicht nur die Terminierung von Fallbesprechungen erleichtert werden. Sondern im Rahmen einer interdisziplinären Fallbesprechung, wie zum Beispiel beim Tumorboard, kann eine Integration den Zugriff durch alle Besprechungsteilnehmer auf relevante Daten zu den Patientenfällen herstellen und dadurch die virtuellen Fallbesprechungen erleichtern. Umgekehrt unterstützt eine tiefe Integration die Rückführung der protokollierten Besprechungen und gegebenenfalls der aufgezeichneten Sitzung in medizinische Informationssysteme.
Auch die Interoperabilität mit Hardware, zum Beispiel bei der Anbindung von Infrastrukturen in medizinischen Einrichtungen wie Videokonferenzräumen oder OP-Raumsystemen, spielt eine bedeutende Rolle. Eine Integration der Videolösung in OP-Raumsysteme und mit OP-Hardware, wie zum Beispiel Kamerasystemen eröffnet beispielsweise die Möglichkeit eines Expertenaustauschs während eines chirurgischen Eingriffs. Angehendes chirurgisches Personal kann außerdem remote teilnehmen und insbesondere kritische Operationsschritte praxisnah erlernen.
Weiteres Potential ergibt sich auch beim Einsatz von Videokonferenztechnologie im Rettungsdienst, wo Sanitäter direkt bei der Erstversorgung die Meinung von Fachärzten einholen können und diesen mithilfe von Wearables sowie Kamerabrillen mit fernsteuerbarem Zoom einen guten ersten Eindruck von der Situation des Patienten verschaffen können. Damit kann die Patientenversorgung am Notfallort optimiert und beschleunigt werden, denn gerade in Notfallsituationen zählt jede Sekunde und eine gute Video- und Audioqualität sowie stabile Zuverlässigkeit und Benutzerfreundlichkeit der eingesetzten Technologie sind hierbei zwingende Voraussetzungen.
Digitale Kompetenz fördern
Die Digitale Kompetenz der Nutzer ist ebenso von erheblicher Bedeutung für den Erfolg digitaler Anwendungen im Gesundheitswesen. Digitale Kompetenz beinhaltet zum einen das Wissen, mit den digitalen Lösungen umgehen zu können, und zum anderen die Befähigung, selbstbestimmt Entscheidungen treffen zu können. „Es ist anzunehmen, dass die digitale Kompetenz unter den jüngeren Altersgruppen höher ist. Trotzdem muss es das Ziel sein, für sämtliche Altersgruppen den Nutzen zu verbessern. Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt und fördert die Entwicklung staatlich, beispielsweise durch diverse Schulungsangebote“, merkt Houta an.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass für die Akzeptanz digitaler Lösungen in Gesundheit und Pflege die digitale Kompetenz aller beteiligten Personengruppen von großer Bedeutung und deshalb in allen Altersgruppen zu fördern und zu entwickeln ist. Weiterhin ist die Interoperabilität äußerst wichtig, um Prozesse einfach zu gestalten und gleichermaßen komplexe Settings zu ermöglichen. Hierbei ist der Einsatz von Standards erforderlich, die maßgeblich an einer gelungenen Optimierung der Kommunikation beteiligt sind. Software, Hardware und Medizintechnik gilt es, bestmöglich zu vernetzen. Nicht nur die Videosprechstunde, sondern auch die Remote-Operation oder Notfallversorgung erreicht immer mehr Aufmerksamkeit und Bedeutung und wird die digitale Strategie im Gesundheitswesen maßgeblich vorantreiben.
Autorin: Silke Beermann, IT-Journalistin für Wordfinder
Interviewpartner: Salima Houta, Business Development Executive – Healthcare Sector, Pexip GmbH
Bild: Tumorbesprechungen per Videokonferenz – © Pexip
Quelle: Wordfinder