Digitale Diabetesversorgung: Fortschritte, Hürden und der Weg zu mehr Inklusion

Veröffentlicht 22.11.2024 09:40, Dagmar Finlayson

Von Gesundheits-Apps über die elektronische Patientenakte bis hin zur Online-Schulung: der medizinische Alltag wird mehr und mehr von digitalen Technologien durchdrungen. Besonders in der Diabetesversorgung ist der Bedarf an digitaler Unterstützung groß, und für nahezu alle Aspekte des Diabetesmanagements stehen bereits digitale Anwendungen zur Verfügung. Sie tragen wesentlich dazu bei, die Lebensqualität und Sicherheit der Betroffenen zu verbessern, wie Expertinnen und Experten der Deutschen Diabetes Gesellschaft e.V. (DDG) auf der Vorab-Pressekonferenz zur 18. Diabetes Herbsttagung darlegten.

Herausforderungen gebe es aber noch bei der digitalen Inklusion – denn barrierefrei sind die meisten elektronischen Tools noch nicht. Die DDG fordert barrierefreie Technologien und einen gesetzlichen Anspruch auf moderne Therapieoptionen für alle Menschen – unabhängig von körperlichen oder psychischen Einschränkungen.

Digitale Technologien als neuer Standard in der Diabetesversorgung

Was vor einigen Jahren noch fast futuristisch anmutete, ist heute bereits zum Standard der Diabetesversorgung geworden: Sensoren übernehmen nicht nur die Messung des Blutzuckerspiegels, sondern zeichnen den zeitlichen Verlauf auch auf und halten die Daten in anschaulicher Form digital abrufbereit. Diese Daten dienen in der Regel auch als Grundlage für das Arzt-Patienten-Gespräch. „Das handgeschriebene Blutzuckertagebuch stellt dagegen eine Ausnahme dar“, berichtete Dr. med. Tobias Wiesner, diesjähriger Tagungspräsident der Diabetes Herbsttagung, auf der Pressekonferenz. Ob die Daten zu Hause vom Patienten oder der Patientin selbst ausgelesen werden oder in der ärztlichen Praxis, hänge vom verwendeten System und der technischen Ausstattung der betreuenden Praxis ab. Immer häufiger könnten die Messwerte auch direkt über eine Cloud übermittelt werden. „Für Routinetermine müssen die Patientinnen und Patienten dann nicht mehr unbedingt vor Ort in der Praxis erscheinen, sondern können die aktuellen Werte auch per Video-Schaltung besprechen“, so Wiesner, der als Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie am MVZ Stoffwechselmedizin Leipzig tätig ist. Das bedeute eine gewaltige Zeitersparnis – gerade für Menschen, die im ländlichen Raum wohnen.

Elektronische Akten und vernetzte Systeme: Wegbereiter für ein verbessertes Diabetesmanagement

Die elektronische Patientenakte und die elektronische Diabetesakte sollen dazu beitragen, dass das Diabetesmanagement weiter verbessert und die Kommunikation zwischen beispielsweise behandelnden Ärztinnen und Ärzten effizienter wird. Noch seien wichtige Voraussetzungen hierfür jedoch nicht geschaffen, war sich die Expertenrunde einig. Sie verwiesen auf die häufig noch mangelnde Interoperabilität der Systeme und in der Folge den unzureichenden Zugriff auf relevante Daten.

Für die Diabetes-Betroffenen selbst sind die Vorteile der Digitalisierung schon heute im täglichen Leben spürbar. „Hier haben sich technische Lösungen wie die kontinuierliche Blutzuckermessung, Insulinpumpen und vor allem gekoppelte Closed-Loop-Systeme, die wie eine künstliche Bauchspeicheldrüse funktionieren, als echte Game-Changer erwiesen“, sagte Wiesner. Sie erleichterten den Patientinnen und Patienten nicht nur das Diabetesmanagement, sondern trügen auch erheblich zur Behandlungsqualität und mehr Sicherheit bei.

Fehlende Inklusion und Barrieren für vulnerable Patientengruppen

Trotz der beeindruckenden Fortschritte sehen die DDG-Expertinnen und -experten noch großen Handlungsbedarf. „Gerade vulnerablen Patientengruppen – wie ältere, blinde, von Demenz betroffene oder anderweitig beeinträchtigte Menschen – bleiben viele der digitalen Unterstützungsangebote verwehrt“ sagte Dr. med. Dorothea Reichert, ebenfalls Tagungspräsidentin der Diabetes Herbsttagung, in ihrem Statement. Standard bei der Behandlung des Typ-1-Diabetes sei die sogenannte intensivierte Insulintherapie, bei der durch die Gabe eines Langzeitinsulins oder die kontinuierliche Insulinabgabe über eine Pumpe die Versorgung mit Basisinsulin sichergestellt wird. Darüber hinaus muss vor jeder Mahlzeit die geplante Kohlenhydrataufnahme berechnet und eine entsprechende Insulinmenge gespritzt oder abgegeben werden. „Menschen mit Typ-1-Diabetes, die diese Berechnung nicht bewältigen, geraten schnell in eine lebensbedrohliche Unter- oder Überzuckerung“, mahnte Reichert, die als niedergelassene Fachärztin für Innere Medizin und Diabetologin DDG in eigener Praxis in Landau tätig ist. Sie würden daher besonders von digitalen Anwendungen profitieren, die die Dosierung berechnen, erst recht von Closed-Loop-Systemen – Insulinpumpensysteme, die auch automatisch auf Blutzuckerschwankungen reagieren. In der Praxis hätten aber gerade Patientinnen und Patienten mit Unterstützungsbedarf oft keine Chance auf Kostenübernahme für solche Systeme – mit der Begründung, dass sie den Zeitpunkt und die Zusammensetzung ihrer Mahlzeiten nicht selbst festlegten. „Dabei wird verkannt, dass auch in Betreuungseinrichtungen und Pflegeheimen nicht sichergestellt ist, dass es Betreuungskräfte gibt, die die Berechnung des Mahlzeiteninsulins übernehmen“, gab Reichert zu bedenken.

Zudem gibt es bislang weder barrierefreie Glukosesensoren noch barrierefreie Insulinpumpen. Die neuen Technologien erfordern ein erhebliches Maß an digitalem Grundverständnis, und Menschen mit starker Sehbehinderung sind von vornherein ausgeschlossen. „Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen können die vom Medizinischen Dienst geforderten Dokumentationen zur Ernährung, Zuckerwerten, Insulinmenge und Sport häufig nicht in der geforderten Qualität vorlegen und bekommen deshalb keine automatisierten Insulindosierungssysteme bewilligt – obwohl sie von diesen in besonderem Maße profitieren würden“, so Reichert.

Forderungen der DDG für eine inklusive digitale Diabetesversorgung

Im Sinne einer digitalen Inklusion fordert die DDG daher die forcierte Entwicklung barrierefreier Technologien und einen gesetzlich geregelten Zugang zu modernen Therapieoptionen für alle Menschen, unabhängig von physischen oder psychischen Einschränkungen.

Quelle: Deutsche Diabetes Gesellschaft


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