b956f717-6bb8-4390-9adb-e2e380564c97.jpg
Regulatory capture: Hemmschwelle für Standards im Gesundheitswesen
Category : IT-Management
Published by Dagmar Finlayson on 23.06.2023 10:00

Regulatory capture bezieht sich auf die Situation, in der Regulierungsbehörden oder staatliche Institutionen, die eigentlich die Interessen der Allgemeinheit schützen sollen, stattdessen von den Interessen derjenigen beeinflusst werden, die sie eigentlich regulieren sollten. Bestens ausgestattete Großkonzerne wie Facebook oder Google mit eigenen Forschungsinstituten und großen Lobby-Abteilungen könnten die gemeinsame Standardentwicklung für ihre Interessen vereinnahmen. Ergo: Eine erhebliche kommerzielle Hemmschwelle für Standards im Gesundheitswesen.

Der Standardisierungsprozess – die Bestimmung eines konkreten Kommunikationsprotokolls –, stellt eine Schwachstelle dar, die den Erfolg einer Interoperabilitätsverpflichtung auf verschiedene Weisen verhindern kann. Neben einem zu geringen Verschlüsselungsniveau oder einer verschleppten Weiterentwicklung des Standards an den technischen Fortschritt kann der Standardisierungsprozess auch von mächtigen Plattformunternehmen gekapert und für eigene Interessen instrumentalisiert werden. So können staatliche Regulatoren zwar die Ziele einer Interoperabilitätspflicht vorgeben, müssen die genaue Ausgestaltung der technischen Spezifikationen jedoch Expertengremien überlassen. Der Zugang zu diesen Expertengremien ist jedoch häufig beschränkt und nicht inklusive genug, um auch die Interessen von betroffenen Akteuren mit geringem Organisationsgrad zu berücksichtigen.

Insbesondere kleine Unternehmen, NGOs und Verbraucherschutzverbände können die langwierigen und technisch anspruchsvollen Verhandlungen aufgrund mangelnder Ressourcen nicht dauerhaft personell begleiten. Demgegenüber stehen finanziell bestens ausgestattete Großkonzerne wie Facebook oder Google, die jeweils eigene Forschungsinstitute und große Lobby-Abteilungen unterhalten und sich zusammenschließen könnten, um die gemeinsame Standardentwicklung für ihre Interessen zu vereinnahmen ("Regulatory capture").

Im Kontext des Gesundheitswesens kann Regulatory Capture erhebliche Auswirkungen auf die Standards und die Qualität der Gesundheitsversorgung haben.


Um den Einfluss von Regulatory Capture im Gesundheitswesen zu begrenzen, ist eine starke Aufsicht, Transparenz und Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden erforderlich. Es sollten Mechanismen geschaffen werden, um Interessenkonflikte zu verhindern und sicherzustellen, dass die Regulierung im besten Interesse der Patienten und der öffentlichen Gesundheit erfolgt. Zudem ist eine breite Beteiligung der verschiedenen Interessengruppen, einschließlich der Verbraucher und der Zivilgesellschaft, wichtig, um sicherzustellen, dass die Regulierung ausgewogen und die Interessen der Allgemeinheit vertreten werden.

So verbleibt die Interoperabilitätspflicht am Ende nicht nur als letzte politische Handlungsoption, sondern auch als staatliche Pflicht zur Gewährleistung digitaler Grundrechte. Die Datenschutzgrundverordnung setzt eine Wahlfreiheit der Nutzer:innen zwischen Plattformen voraus, die de facto vielfach nicht mehr existiert.

Wolf-Dietrich Lorenz