Krankenhäuser können Projekte im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) auch nach Ende 2024 abschließen. Dazu legten die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der GKV-Spitzenverband eine „Digitalisierungsabschlags-Vereinbarung“ mit neuem Sanktionskatalog bei Verstößen gegen KHZG-Umsetzungsfristen vor. Zum 1. August 2023 soll die Vereinbarung, die bis ins Jahr 2031 reicht, wirksam werden. Mankos, Ressourcen und Perspektiven beäugt Michael Thoss, freier Autor und IT-Manager, im Interview mit dem Krankenhaus IT-Journal kritisch.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der GKV-Spitzenverband haben eine Vereinbarung gemäß § 5 Absatz 3h KHEntgG und § 5 Absatz 7 BPflV zur Umsetzung der Abschläge bei fehlender Bereitstellung und Nutzung der digitalen Dienste gemäß § 19 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 bis 6 der Krankenhausstrukturfonds-Verordnung (Digitalisierungsabschlags-Vereinbarung) vom 3.7.2023 getroffen. Die Vereinbarung legt die Rahmenbedingungen für den zu erhebenden Abschlag fest, der mit Blick auf die bis Ende 2025 umgesetzten digitalen Dienste und Anwendungen erstmals im Jahr 2026 zur Anwendung kommt.
Die Abschlagshöhe beträgt bis zu 2 % jedes voll- und teilstationären Abrechnungsfalls und bemisst sich an der Verfügbarkeit und Nutzung der in der Förderrichtlinie nach § 21 Abs. 2 KHSFV definierten digitalen Dienste. Der Abschlag wird erstmals zum 31.12.2025 ermittelt und im jeweiligen Folgejahr budgetwirksam auf die Fälle des jeweiligen Krankenhausstandortes angewendet. In den Jahren 2025 und 2026 wird zunächst nur die Verfügbarkeit der digitalen Dienste berücksichtigt. Darüber hinaus reicht es in beiden Jahren zunächst aus, dass die Umsetzung der digitalen Dienste beauftragt wurde. Ab dem Erhebungszeitpunkt 31.12.2027 wird die Nutzung dann sukzessive stärker berücksichtigt und die Dienste müssen vollständig umgesetzt sein, um Abschläge vermeiden zu können. (Quelle: DKG)
Was muss bei der „KHZG-Digitalisierung“ für einen nachhaltigen Vorteil hauptsächlich „reformiert“ werden?
Michael Thoss: Das größte Manko aus meiner Sicht stellen die häufig fehlenden praktischen (und pragmatischen) Erfahrungen und Vorstellungen der Entscheider dar. Die vorliegende Digitalisierungsabschlags-Vereinbarung offenbart wieder ein Kernproblem des deutschen Gesundheitssystems: Es wird grundsätzlich um Geld und Finanzierung gestritten, selten um nachhaltige Prozesse über Sektorengrenzen. An dieser Stelle schwächelt auch die TI seit 20 Jahren. Krankenhäuser stehen im Zentrum der Versorgung, ohne Krankenhäuser fehlen den niedergelassenen Ärzten Behandlungszentren (größtenteils auch unfreiwillige „Vertretungen“ über zentrale Notaufnahmen), den Rettungsdiensten erreichbare Notfallzentren, den Pflegeeinrichtungen stationäre Leistungen u.v.m. Die Sektoren einzeln zu betrachten, ist nach wie vor der größte Fehler beim Reformwillen.
Damit das nicht als Plattitüde herüber kommt, folgendes Beispiel: §2 (2) regelt die Abschlagshöhe (bis zu 2 %) über die Dienste „…und die Häufigkeit der tatsächlichen Nutzung…“. Bei Diensten nach dem FTB 2 ist das Krankenhaus aber nicht das Maß der Dinge für deren Nutzung, sondern die Akzeptanz in der Bevölkerung. Nutzung würde ausschließlich durch Patienten entstehen. Einen Zwang kann das Krankenhaus hier nicht aufbauen, also muss es unabhängig vom Aufwand der digitalen Plattform (Patientenportal) analoge Prozesse bedienen und Organisation somit doppelt vorhalten (digital und analog). Ein weiteres Problem stellt die Vielzahl der Portallösungen am Markt dar – von denen die meisten zudem nicht wirklich prozesstauglich integriert werden können. Das führt nämlich dazu, dass sich niedergelassene Ärzte neben der TI mit einer Vielzahl von Plattformen beschäftigen müssten. Je nachdem, wofür sich welches Krankenhaus unter Zeitdruck und Schmerzen entscheidet. Vor allem in Ballungszentren. Das steigert nicht die Akzeptanz bei Patienten, denn hier liefert der niedergelassene Arzt ein wichtiges Meinungsbild und ist ein wesentlicher Einflussfaktor.
Auch im §3 (2) darf man sich fragen, wie es zu der absteigenden Priorisierung der Tatbestände kam. Nimmt man Statistiken zu Behandlungsfehlern zur Hand, so muss man sich fragen, warum das digitale Medikationsmanagement (für das es diverse Lösungen am Markt gibt) auf Platz 3 steht? Hinter der digitalen Pflegedokumentation und vor allem hinter dem Patientenportal? Der FTB 2 rettet kein Menschenleben bzw. steigert nicht die Patientensicherheit.
Reformiert werden müsste daher in erster Linie die Digital-Kompetenz und die Bewertung von möglichen Synergien. Außerdem werden mittelfristig mehr Spezifikationen der TI erforderlich, was langwierige Vorlauf-Prozesse impliziert.
Was bedeutet die Fristverlängerung im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) bis ins Jahr 2031 für die KIS-Strategie der Krankenhäuser? Wie weit ist der bisherige Umsetzungsengpass mit Blick auf Ressourcen durch den erweiterten KHZG-Zeitrahmen beseitigt?
Michael Thoss: Wenn man ehrlich ist, dann war die Fristverlängerung sachlich unausweichlich. Der Gesetzgeber hatte im Rahmen der Gesetzgebung handwerklich schlecht gearbeitet, im Nachhinein immer mehr zusätzlichen Aufwand generiert und seine eigenen Ressourcen (Bund und Länder) gnadenlos überschätzt. Es war auch von vornherein abwegig davon auszugehen, dass die wirtschaftlich strapazierten Krankenhäuser ab September 2020 bei siebenstelligen Projekten optimistisch in die Vorleistung gehen. Wenn man den Zeitraum betrachtet, dann ergeben sich von September 2020 bis Mai 2023 insgesamt 33 Monate Bearbeitungszeit für Anträge. 29 Monate, wenn man 2020 außen vorlässt. Darüber redet niemand. Wobei man zugunsten der Behörden zumindest die Beeinträchtigungen durch Corona berücksichtigen muss, die haben allerdings auch alle Antragsteller betroffen. Faktisch wurden Bewilligungen noch bis Mitte 2023 erteilt. Mitte 2023! Bei einem ursprünglich gedachten Verfahrensende 2024 laut KHZG. Jedem Realisten ist klar, dass bei Projekten der Komplexität einiger Fördertatbestände (bspw. 2, 3, 5) 18 Monate Laufzeit mehr oder weniger „nichts“ sind. Schon wegen der Pflichtfristen von Ausschreibungen, die leicht sechs Monate Zeit kosten (und Geld, welches nicht in der Digitalisierung ankommt). Wobei die „Kleinigkeit“ des für die Zusatzlasten benötigten Personals grundsätzlich unberücksichtigt bleibt.
Zumindest ist vorerst das Bedrohungsszenario „Malus“ per 01.01.2025 eingegrenzt bzw. verschoben. Da die Anbieter am Markt wegen eines einmaligen Geldsegens ihre Ressourcen nicht beliebig erweitern werden (und können), war die Entscheidung auch mit Blick auf die reale Umsetzbarkeit der Projekte unausweichlich. Durch den eskalierenden Fachkräftemangel operieren ohnehin sowohl Kunden als auch Lieferanten bereits seit spätestens 2022 endgültig an der Leistungsgrenze.
Wie weit könnte sich die bestehende Auftragsflut der Krankenhäuser durch die Fristverlängerung von Industrie und Beratung sowie SAP-Partnern wirksam bewältigen lassen?
Michael Thoss: Die Fristverlängerung führt zweifellos zu einer Entspannung des aktuell teilweise panischen Kampfes um Ressourcen. Mit dem man sich insgesamt keinen Gefallen tut, weil die leistenden Ressourcen wie Fachberater der Hersteller und Mitarbeitende verschlissen werden. Was zweifellos in den nächsten beiden Jahren zu einer weiteren unplanbaren Verknappung von Ressourcen geführt hätte. Dabei wurden noch nicht einmal mögliche erneute pandemische Risiken berücksichtigt, obwohl man gerade in Sachen Risikomanagement in Projekten einiges aus Corona hätte mitnehmen können.
Die „Gleichzeitigkeit“ des SAP-Rückzugs zum KHZG fördert diese Ressourcenknappheit noch. Der komplette KIS-Wechsel eines Kunden hat bei den Herstellern weit höhere Prioritäten in der Ressourcenplanung (zwingende Zusammenhänge in den Systemen), als isolierte Projekte bestimmter Schwerpunkte. Erfreulich ist in diesem Fall der realistische Blick der Macher der Vereinbarung, dass ein KIS-Wechsel unmittelbar den Malus aussetzt.
Welche Auswirkungen kann die Fristverlängerung auf Betriebskosten und Refinanzierung haben?
Michael Thoss: Diese Einflüsse sind schwierig zu bewerten. Grundsätzlich ist es die Aufgabe des InEK die Betriebskosten der Krankenhäuser in den Vergütungsmodellen zu berücksichtigen. Die Investitionen aus dem KHZG treiben diese Betriebskosten und an der Refinanzierung der Betriebskosten durch das KHZG (mit befristeter Laufzeit) ändert sich nach meiner Lesart nichts. Wir sind also beim Malus „sicher“, bei den Betriebskosten aber vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) und Kostenträgern abhängig. In früheren Beiträgen hatte ich bereits auf dieses ca. 860 Millionen p.a.-Problem hingewiesen (ausgehend von 20% p.a. Betriebskostenaufwand aus 4,3 Milliarden Investitionsvolumen). Die tatsächliche Refinanzierung der Betriebskosten steht somit noch in den Sternen.
Bei den Investitionen (Refinanzierung von zum Beispiel Hardware wie Server, Speicher, Netzwerke, Endgeräte u.v.m.) zeigt sich das gleiche Problem, denn die Länder kommen ihrem Auftrag im Rahmen der dualen Finanzierung schon lange nicht mehr nach. Ein Schelm, der sich da fragt, warum sie sich immerhin mit einem Drittel an den Fördermitteln beteiligen mussten. Leider wird ein Drittel vom Ist dauerhaft nicht helfen.
Wie praxistauglich beurteilen Anwender das neue Bewertungskonzept (mit Abschlagshöhe)? Wie weit schlagen Kriterien wie „Verfügbarkeit“ und „Nutzung der digitalen Dienste“ auf Basis eines Soll-Ist-Abgleichs zu Buche?
Michael Thoss: Zum Thema „Nutzung“ hatte ich bereits den FTB 2 als eindeutig ungeeignetes Werkzeugsetting definiert, da die Nutzung nicht durch das Krankenhaus beeinflusst werden kann, sondern ausschließlich durch den Patienten entsteht. Der lässt sich jedoch in der Regel von seinem Hausarzt beeinflussen (umgekehrt noch eher nicht etabliert). Solange sich an dieser „Front“ (Ambulanter Sektor) kein ernsthafter Paradigmenwechsel abzeichnet, werden auch Portalprojekte überwiegend scheitern oder eben in erster Linie Geld kosten und keinen messbaren Nutzen erzeugen (siehe „Doppel-Organisation“ zuvor).
In anderen FTBs kommt einem die Idee der Messung und prozentualen Bewertung der Nutzung eher absurd vor. Welches Krankenhaus wird eine teure digitale Pflegedokumentation oder Medikation (AMTS) einführen und dann seinen Mitarbeitenden ein „Opt-out"-Modell anbieten, um wahlweise eine Papierakte zu nutzen? Hier fragt man sich dann schon, ob die Diskussion nicht ein wenig „weltfremd“ aus dem Ruder gelaufen ist. Es wäre vermutlich besser gewesen, nicht einen „bürokratisch darstellbaren“ Ansatz für alle Themen finden zu wollen.
Wie könnte sich aus Sicht der Anwender der KHZG-Prozess vor allem verbessern lassen? Welche Maßnahmen für einen spürbaren Mehrwert sind denkbar?
Michael Thoss: Für das Krankenhaus als Anwender der angestrebten digitalen Funktionalitäten stellen vor allem die bürokratischen und organisatorischen Prozesse des KHZG eine noch zu lösende Herausforderung dar. Sämtliche Aufwände der Krankenhäuser zur Befriedigung bürokratischer Prozesse werden wirtschaftlich unberücksichtigt gelassen, verschleißen aber erhebliche Ressourcen. Diese sollen die Krankenhäuser nun auch noch detailliert festhalten und berichten, obwohl sich daraus keinerlei Konsequenzen, Aufwandsvergütungen o.ä. ableiten. Aus Sicht der Behörden sind Personalkosten ohnehin „Eh da“-Kosten im Sinne, dass das erforderliche Personal sowieso (beschäftigungslos? … schon etwas diskriminierend) im Haus ist. Was eine falsche Betrachtung darstellt, denn vorhandenes Personal bedient bereits vorhandene Aufgaben. Das KHZG kreiert jedoch diverse neue Aufwände zusätzlich. Hier wäre dringend eine Entschlackung der Prozesse erforderlich, allein der Abruf von Mitteln bietet hier schon Potenziale durch aktuell erforderliche Doppelmeldungen nahezu identischer Inhalte.
Auch die Prozessbegleitung durch „qualifizierte“ IT-Dienstleister ist mehr oder weniger zweifelhaft und weckt ungute Erinnerungen an die Errichtung von Impfzentren. Da die Fördertatbestände mehr oder weniger eindeutig sind, wäre eine Kontrolle der Ergebnisse auch nach Aktenlage möglich und müsste nicht zusätzliche wirtschaftliche Aufwände generieren und Mittel verschlingen, die in der „Digitalisierung“ nicht mehr eingesetzt werden können.
Das Interview führte Wolf-Dietrich Lorenz, Krankenhaus-IT Journal