Wie GenAI die Patientenreise transformiert – von der Diagnose bis zur Nachsorge

GENAI

Veröffentlicht 12.03.2024 14:20, Dagmar Finlayson

Durch die Integration von generativer Künstlicher Intelligenz (GenAI) in das Gesundheitswesen steht insbesondere die Patientenreise an der Schwelle grundlegend verändert zu werden. Large Language Models (LLMs) versprechen die Effizienz in der Versorgung zu steigern, die Betreuung von Patienten und Patientinnen individueller zu gestalten und den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen zu erleichtern. Doch wie sehen die versprochenen Verbesserungen in der Patientenreise konkret aus und welche Überlegungen sind bei der Implementierung zu berücksichtigen?

Von Anamnese bis Nachsorge

Erstaufnahme und Anamnese: Bei der Erstaufnahme können LLMs durch intelligente Assistenzsysteme unterstützen, um Patienteninformationen effizient zu erfassen und direkt aufzubereiten. Dies beschleunigt den Aufnahmeprozess und sorgt für eine zielgerichtete ärztliche Diagnostik. Ähnliche Technologien wurden bereits in Studien zur Verbesserung der Datenerfassung und -analyse untersucht, wobei der Fokus auf Effizienz und Genauigkeit liegt.[1]

Diagnose und Behandlungsplanung: LLMs können Ärzte und Ärztinnen bei der medizinischen Informationsfindung unterstützen, indem sie medizinische Datenbanken und aktuelle Forschungsergebnisse durchsuchen. Modelle wie Med-PaLM haben gezeigt, dass sie medizinisches Fachwissen auf eine Weise einsetzen können, die mit den Antworten von Klinikern vergleichbar ist und dient einer zielgerichteteren Recherche.[2]

Patientenkommunikation während des Aufenthalts: Chatbots, die auf LLMs basieren, können während des Krankenhausaufenthalts als Kommunikationsmittel dienen, um häufige Patientenanfragen zu beantworten und Informationen über Behandlungspläne oder Klinikrichtlinien bereitzustellen. Dies verbessert die Patientenerfahrung, indem es den Zugang zu Informationen vereinfacht und das Pflegepersonal entlastet.

Entlassmanagement und Übergang in die Reha: LLMs können Entlassspläne generieren, die auf den spezifischen Bedürfnissen und dem Gesundheitszustand des Patienten basieren. Durch die Analyse von Patientendaten können sie Hinweise für die nachfolgende Pflege, einschließlich Rehabilitationprozesse, geben. Sie können auch zur automatischen Erstellung von Patienteninformationsmaterialien verwendet werden, um den Übergang zu unterstützen.[3]

 

Abbildung 1 Übersicht zu möglichen Anwendungen in der Medizin[4]

Wie trainiert man LLMs an um sie für spezifische Anwendungsfälle anzupassen?

Drei Techniken ergänzen einander und bilden zusammen die Werkezuge für die Anwendung von LLMs im Gesundheitswesen – Prompting, Retrieval-Augmented Generation (RAG) und Finetuning. Durch gezielte Anfragen (Prompting), die Erweiterung der Informationsgrundlage mittels externer Daten (RAG) und die spezifische Anpassung an medizinische Anforderungen (Finetuning) können LLMs effektiv zur Unterstützung von Diagnose- und Behandlungsentscheidungen eingesetzt werden.

Prompting: Die Kunst der gezielten Anfragen

Prompting ist der Prozess, durch den spezifische Fragen oder Aufforderungen an ein LLM gerichtet werden, um passende Antworten zu generieren. Diese Technik ermöglicht es, das Modell präzise zu steuern und genau die Informationen zu extrahieren, die am wertvollsten sind. Beim Prompting wird die Frage so formuliert, dass sie den Informationsbedarf genau widerspiegelt, wodurch das LLM in die richtige Richtung gelenkt wird, um nützliche und anwendbare Antworten zu liefern.

Retrieval-Augmented Generation (RAG): Zugriff auf externe Wissensdatenbanken

RAG erweitert die Fähigkeiten von LLMs, indem es ihnen ermöglicht, auf eine breite Palette von externen medizinischen Datenbanken zuzugreifen, um die bestmöglichen Antworten zu generieren. Diese Technik nutzt das umfangreiche Wissen, das in medizinischen Publikationen, Studien und Fallberichten gespeichert ist, und macht es im Kontext spezifischer Anfragen zugänglich. RAG verbessert die Qualität der Modellantworten erheblich, indem es aktuelle und tiefgreifende Informationen in die Antwortgenerierung einbezieht.

Finetuning: Anpassung an spezifische medizinische Bereiche

Finetuning ist der Schlüssel zur Anpassung von LLMs an die einzigartigen Anforderungen und die Fachsprache des Gesundheitswesens. Durch das Training des Modells mit spezialisierten Datensätzen lernt das LLM, medizinische Terminologien korrekt zu interpretieren und anzuwenden. Diese maßgeschneiderte Anpassung gewährleistet, dass das Modell nicht nur allgemeine Informationen liefert, sondern präzise Antworten, die auf den spezifischen Kontext der medizinischen Anfrage zugeschnitten sind.

Welche Dimensionen muss man betrachten?

Das oberste Ziel beim Einsatz unterstützender GenAI-Systeme im Gesundheitswesen ist es, die Health Literacy der Patienten zu verbessern (Informative Chatbots), Ärzte und Pflegepersonal von administrativen Aufgaben wie der Dateneingabe zu befreien und klinische Prozesse zu beschleunigen. Solche Systeme, die nicht unmittelbar mit sensiblen Patientendaten interagieren müssen oder in individuelle Behandlungsentscheidungen eingreifen, sind von den strengen Anforderungen der DSGVO, der EU-KI-Verordnung und der MDR tendenziell weniger betroffen. Sie tragen dazu bei, die Patientenreise effizienter und informativer zu gestalten, indem sie Wartezeiten verkürzen, das medizinische Fachpersonal entlasten und Patienten klar verständliche Gesundheitsinformationen bereitstellen. Ansonsten ist es unabdingbar, u.a. die Transparenz gemäß Artikel 6 der EU-KI-Verordnung und die Einwilligung nach Artikel 7 der DSGVO zu wahren oder Regel 11 der MDR zu prüfen, um sicherzustellen, dass KI-Anwendungen den regulatorischen Anforderungen entsprechen.

Technische und organisatorische Integration

Die technische Integration von LLMs in die Gesundheitsversorgung erfordert eine robuste IT-Infrastruktur, die Datenschutz, Sicherheit und Skalierbarkeit gewährleistet. Die Architektur verlangt nach einer Integration der heterogenen Krankenhaussysteme in eine dedizierte Trägerplattform. Diese dient als zentraler Datenspeicher, der die erforderlichen Informationen in einem verarbeitungsfähigen Format für LLMs bereitstellt. Data Scientists greifen auf diese Plattform zu, um darauf aufbauend spezialisierte Anwendungen zu entwickeln, die durch die analytische Stärke der LLMs die klinischen und nichtklinischen Prozesse unterstützen und optimieren. Organisatorisch erfordert die Einführung von LLMs eine Kulturveränderung innerhalb der Institutionen, einschließlich Schulungen für medizinisches Personal, um die Möglichkeiten und Grenzen dieser Technologien zu verstehen. Die erfolgreiche Implementierung setzt eine enge Zusammenarbeit zwischen IT-Spezialisten, Ärzten, Pflegepersonal und Verwaltung voraus, um GenAI nahtlos in bestehende Prozesse zu integrieren und die Akzeptanz zu fördern.

 

Abbildung 2: Mögliche Architektur für eine Integration von generativer KI im Klinikkontext (eigene Darstellung)

GenAI als Schlüssel zur Zukunft der Gesundheitsversorgung

Die Einführung generativer Künstlicher Intelligenz (GenAI) in das Gesundheitswesen steht nicht nur für eine technologische Revolution, sondern adressiert auch einige der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit. Wie von Erik Topol hervorgehoben, wird GenAI Ärzten und Ärztinnen ermöglichen, sich von der Tastatur zu lösen und mehr Zeit für die direkte Interaktion mit den Patienten aufzuwenden, was die Qualität der Patientenversorgung erheblich verbessert. Darüber hinaus eröffnet GenAI Patienten und Patientinnen neue Wege, um ihre Gesundheitskompetenz zu erhöhen. Durch die Bereitstellung von Informationen in verschiedenen Sprachen und Fachlichkeitsgraden, etwa im Rahmen der Prähabilitation oder als Navigationshilfe in Patientenportalen, trägt GenAI dazu bei, das Prinzip "better in – better out" zu verwirklichen und die Barrierefreiheit zu verbessern.

In Zeiten des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen bietet GenAI eine vielversprechende Lösung, indem es Arbeitsabläufe optimiert und medizinisches Personal entlastet. Es dient als Co-Pilot für Ärzte und Ärztinnen, indem es ihnen ermöglicht, relevante Fachliteratur schneller und effizienter als je zuvor zu finden, wodurch die medizinische Entscheidungsfindung verbessert wird. Die Entwicklung fachbereichsbezogener Modelle, wie Med-PaLM für spezialisierte Bereiche der Medizin, verspricht eine noch präzisere und individuellere Patientenversorgung.

Angesichts einer alternden Gesellschaft, dem drohenden Fachkräftemangel, unattraktiven Berufsfeldern im Gesundheitswesen, dem Rückgang der Landärzte und den finanziellen Herausforderungen der gesetzlichen Krankenversicherung wird deutlich, dass wir nicht umhinkommen, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz konsequent zu nutzen. GenAI steht im Zentrum dieser Bemühungen und bietet innovative Lösungen, um die Gesundheitsversorgung nachhaltig zu verbessern und zukunftsfähig zu machen. Die Implementierung von GenAI im Gesundheitswesen ist daher nicht nur eine Frage der technologischen Machbarkeit, sondern eine Notwendigkeit, um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen effektiv zu begegnen und eine hochwertige, zugängliche und personalisierte Patientenversorgung zu gewährleisten.

 

Autoren:

Kismet Ekinci ist im Bereich Business Development für Personal Health bei adesso tätig und verfügt als Gesundheitsökonom über eine fundierte Erfahrung aus über einem Jahrzehnt in verschiedenen Segmenten des Gesundheitsmarktes. Seine berufliche Laufbahn umfasst Positionen in KI-Startups, Krankenversicherungen sowie in Forschung und Industrie, was ihm eine umfassende Perspektive auf das Gesundheitssystem verleiht. Zusätzlich zu seinem breiten Erfahrungsspektrum hat er Big Data und KI-Projekte geleitet, die seine Expertise in technologiegetriebenen Projekten im Gesundheitsbereich stärken.

 

Dr. Andreas Kliem ist Bereichsleiter und Softwarearchitekt mit mehr als 20 Jahren Erfahrung im Bereich anwendungsorientierter Verteilter Systeme mit Fokus auf Cloud Computing und eHealth. Seine Expertise umfasst die Planung, Implementierung und das Management von Projekten im Bereich eHealth, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Interoperabilität zwischen verschiedenen Systemen und Technologien liegt. Zusätzlich bringt er umfangreiche Erfahrungen in der Planung, Entwicklung und im Betrieb von IT-Infrastrukturen für medizinische Einrichtungen mit.

 



[1] Sorin, M., Glicksberg, P., Barash, M., Konen, M., Nadkarni, M., & Klang, M. (2023). Applications of Large Language Models (LLMs) in Breast Cancer Care. . https://doi.org/10.1101/2023.11.04.23298081.

[2] Singhal, K., Azizi, S., Tu, T. et al. Large language models encode clinical knowledge. Nature 620, 172–180 (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06291-2

[3] Tustumi, F., Andreollo, N., & Aguilar-Nascimento, J. (2023). FUTURE OF THE LANGUAGE MODELS IN HEALTHCARE: THE ROLE OF CHATGPT. Arquivos Brasileiros de Cirurgia Digestiva : ABCD, 36. https://doi.org/10.1590/0102-672020230002e1727.

[4] Clusmann, J., Kolbinger, F.R., Muti, H.S. et al. The future landscape of large language models in medicine. Commun Med 3, 141 (2023). https://doi.org/10.1038/s43856-023-00370-1

Symbolbild: Alexander Grey (Unsplash)


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