Mindestens genauso häufig wie Typ-1-Diabetes trifft auch der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (AATM) Menschen in Europa: Eins von 2.000–4.000 Neugeborenen leidet an dem seltenen Gendefekt. Dieser führt zu einem gravierenden Fehler des Proteins Alpha-1-Antitrypsin (AAT), sodass dieses nur noch in geringer Menge aus der Leber in den Blutkreislauf abgegeben werden kann. Dies kann wiederum zu Leberschädigungen führen. Fehlt das AAT in der Lunge, wird das Atemorgan langsam zerstört. Sofern die Diagnose rechtzeitig gestellt wird, kann der Erkrankung der Lunge im Erwachsenenalter mit der Gabe von Alpha-1-Antitrypsin als Medikament entgegengewirkt werden. Wenn die Leber schwer geschädigt ist, steht bislang als kurative Therapie nur die Lebertransplantation zur Verfügung. Um die Patientenversorgung zu optimieren und wissenschaftliche Untersuchungen durchführen zu können, wurde am UKB ein bundesweites Register für Patientinnen und Patienten mit AATM und eine anwenderfreundliche App entwickelt.
Sarah ist fünf Jahre alt und leidet an einer seltenen Erkrankung – einem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel. Schon kurz nach der Geburt wurde bei ihr die Diagnose gestellt. „Viele Neugeborene mit AATM haben lange Zeit eine Gelbsucht, in 95 Prozent der Fälle kommt es aber zu keinen größeren Problemen. Bei fünf Prozent der Patienten kommt es jedoch zu einem stärkeren Leberschaden, sodass teilweise eine Lebertransplantation erforderlich wird, erläutert Prof. Rainer Ganschow, der das Zentrum für Kinderheilkunde und das Alpha-1-Kinderzentrum am UKB leitet. Sarah hat jetzt auch eine neue Leber und fühlt sich endlich wohl. Dennoch heißt es für sie: lebenslang in der ärztlichen Betreuung bleiben. „Wir können bei der Geburt eines Kindes nicht sagen, ob es zu diesen fünf Prozent gehören wird. Das macht die Beratung der Familien nicht gerade einfach und belastet die Familien häufig sehr“, so Prof. Ganschow weiter. Insgesamt betreut das Alpha-1-Kinderzentrum 50 Kinder, die auf eine lebenslange unterstützende Betreuung angewiesen sind.
(v. l.): Dr. David Katzer, stellvertretender Leiter des Alpha-1-Kinderzentrums und Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin am UKB, Rainer Ganschow, Direktor des Zentrums für Kinderheilkunde und des Alpha-1-Kinderzentrums am UKB, Dr. Alexander Weigert, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Mitglied des Alpha-1-Teams am UKB.
Für solche Patientinnen und Patienten hat das Team um Prof. Ganschow zusammen mit dem Institut für Medizininformatik am UKB eine App entwickelt, die eine sorgfältige Erfassung der Betroffenen ermöglicht und dazu führen soll, dass die Erkrankung besser verstanden werden kann. „In Deutschland ist es einmalig, weil das AATM-Register noch vor zwei Jahren in den Händen der Erwachsenenmediziner war und die kindlichen Lebererkrankungen kaum berücksichtigte. Nun leiten wir das Register in Form einer anwenderfreundlichen App, welche die Familien selbst mit Daten befüllen können“, sagt Dr. David Katzer, stellvertretender Leiter des Alpha-1-Kinderzentrums und Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin am UKB.
Individuell, anwenderfreundlich, sicher
Ein völlig neues Konzept und aktuelle ethische Auflagen liegen dem neuen Erfassungstool zugrunde. Ist die Diagnose gestellt, kann die betroffene Familie mithilfe der App „Alpha-1-KIDS“ alle für eine optimale Versorgung relevanten Daten samt Laborbefunden des Kindes eintragen. Dabei sind die Fragebögen anwenderfreundlich gestaltet und passen sich dem Schweregrad der Erkrankung individuell an. Dadurch haben die Familien die Möglichkeit, viel für die bestmögliche Unterstützung ihres Kindes beizutragen und gleichzeitig den Ärztinnen und Ärzten zu helfen, die Krankheit besser zu verstehen und entsprechende Studien voranzutreiben. „Das Erstellen des neuen Patientenprofils ist aber erst der Anfang. Über die App werden wir in Zukunft auch wichtige Meldungen an die Eltern verschicken, z. B. wenn interessante Studien angeboten werden können. Weitere Funktionen wie ein Eltern-Chat sind schon in Planung“, ergänzt Dr. Alexander Weigert, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Mitglied des Alpha-1-Teams am UKB.
Datenschutztechnisch ist die App gegen allerlei Lecks gesichert, indem sie lediglich an die UKB-Server angebunden ist. Das Anmeldeverfahren ist zweistufig wie bei einer Bank: Die Anwenderin oder der Anwender registriert sich zunächst in der App und erhält daraufhin ein Anschreiben mit einem QR-Code für die abschließende Anmeldung.
„Wir sind uns sicher, dass unser „Alpha-1-KIDS“- Register für die Erfassung und Nachverfolgung von Fällen mit seltenen Erkrankungen in ganz Deutschland als Vorbild dienen kann“, resümiert Dr. Katzer. Die entsprechende Forschungsarbeit dazu wurde bereits mit dem Alpha-1-Science-Award der Firma CLS-Behring prämiert.
Weitere Information: https://alpha1bonn.de/
Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB werden pro Jahr etwa 500.000 Patient*innen betreut, es sind ca. 9.000 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,6 Mrd. Euro. Neben den 3.500 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr 550 Personen in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht im Wissenschafts-Ranking sowie in der Focus-Klinikliste auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW und weist den dritthöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf. Das F.A.Z.-Institut hat das UKB 2022 und 2023 als Deutschland begehrtesten Arbeitgeber und Ausbildungs-Champion unter den öffentlichen Krankenhäusern in Deutschland ausgezeichnet.
Bild: So sieht die App „Alpha-1-KIDS“ aus – intuitiv, anwenderfreundlich, für jedermann leicht verständlich.
Quelle: Universitätsklinikum Bonn