Der Informatiker und Neurowissenschaftler Prof. Dr. Fabian Sinz von der Universität Göttingen erhält einen Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC). Mit der Förderung von rund zwei Millionen Euro über fünf Jahre unterstützt der ERC sein Projekt „Vision2Action: A data-driven computational framework to discover how behavior impacts processing in mouse visual cortex“. In dem Projekt wollen Sinz und sein Team neue Methoden des maschinellen Lernens entwickeln, um zu verstehen, wie Bewegung die Verarbeitung visueller Reize im Gehirn beeinflusst.
„Unsere Bewegungen beeinflussen, wie wir die Welt wahrnehmen“, erklärt Sinz. „Die Interaktion zwischen Bewegung und visueller Wahrnehmung in natürlichen Umgebungen ist jedoch so komplex, dass wir neue Ansätze des maschinellen Lernens benötigen, um sie erfassen und verstehen zu können.“ Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt im visuellen Cortex von Nagetieren, wo Bewegungssignale selbst frühe Verarbeitungsstufen der Sehbahn beeinflussen. Die zugrundeliegenden Organisationsprinzipien sind jedoch bisher unbekannt.
Das Forschungsteam benutzt hierfür einen computergestützten Ansatz: Mittels Deep Learning erstellen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen „digitalen Zwilling“ des visuellen Systems von sich frei bewegenden Mäusen. „Dieser digitale Zwilling ermöglicht es uns, die komplexe Dynamik zwischen Bewegung, internen Gehirn-Zuständen und visueller Verarbeitung im Computer nachzubilden und systematisch zu untersuchen“, erläutert Sinz. „Wir können dann in der Simulation Hypothesen testen, die experimentell nur schwer zugänglich wären.“ Die aus den KI-Modellen gewonnenen Vorhersagen können anschließend in Experimenten überprüft werden.
Die Forschung verbindet modernste Methoden des maschinellen Lernens mit experimenteller Neurowissenschaft und findet in enger Zusammenarbeit mit Partnern an der Universität Bonn und der Stanford University in den USA statt. Sinz ist seit 2021 Professor für Maschinelles Lernen am Institut für Informatik und Vorstandsmitglied des Campus-Instituts Data Science (CIDAS) der Universität Göttingen. Zuvor war er als Gruppenleiter an der Universität Tübingen und als Assistant Professor am Baylor College of Medicine in Houston (USA) tätig, wo er bereits erfolgreich Deep-Learning-Modelle für die Analyse von Gehirnaktivität entwickelte.
Das Projekt verspricht nicht nur neue Einblicke in die Funktionsweise des visuellen Systems, sondern entwickelt auch innovative KI-Methoden für die Neurowissenschaften. Die entwickelten computergestützten Ansätze könnten in Zukunft auch für andere Bereiche der Hirnforschung wegweisend sein, da sie einen neuen Weg aufzeigen, wie komplexe biologische Systeme in natürlichen Umgebungen durch maschinelles Lernen besser verstanden werden können.
Bild: Prof. Dr. Fabian Sinz ©Emmanouil Froudarakis
Quelle: Georg-August-Universität Göttingen