Seit Karl Lauterbach in die Berliner Friedrichstraße 108 eingezogen ist, vergeht kaum eine Woche, in der er keine neuen Ideen für die Zukunft der Gesundheitsversorgung verkündet. Vorzugsweise bei Twitter. Oder in Talkshows. Bislang ging es dabei um Hybrid-DRG, die Ambulantisierung, Gesundheitskioske, Tagespauschalen, die Abschaffung der DRGs, gegenderte Packungsbeilagen und immer wieder und vor allem um Corona. Bei einer groß angelegten Bundespressekonferenz versprach er am 6. Dezember letzten Jahres nicht nur eine Krankenhausreform, sondern gleich eine Revolution. Von Dr. Nicolas Krämer, Vorstandsvorsitzender der HC&S AG
Die von Experten seit Jahren geforderte Reform ist überfällig. Zu groß sind die Probleme, aufgrund derer Deutschland, das sich einst zu Recht damit rühmte, eines der führenden Gesundheitssysteme der Welt zu haben, von anderen Staaten bemitleidet wird. Als Beispiele seien die überbordende Bürokratie, der Fachkräftemangel und der groteske Digitalisierungsrückstand genannt. Der aktuelle Krankenhaus Rating Report trägt sogar den Titel „Vom Krankenhaus zum Geisterhaus?“.
Als Wurzel allen Übels hat der Bundesminister die Fallpauschalen ausgemacht, an deren Einführung vor zwanzig Jahren das damalige Aufsichtsratsmitglied der Rhön Klinikum AG wesentlich beteiligt war. Zukünftig dürfe die Medizin nicht der Ökonomie folgen, so Lauterbach, der an Weihnachten nachlegte und ein Gesetz ankündigte, das Finanzinvestoren den Einstieg in MVZs untersagt. Es müsse Schluss damit sein, „dass ein Promi-Arzt seinen Namen für Dutzende Praxen hergibt, in denen junge Ärzte Hamsterradmedizin mit unnützen Behandlungen in schlechter Qualität betreiben, um absurde Profitziele zu erreichen.“ Lauterbach hält Renditen im zweistelligen Prozentbereich im Gesundheitswesen für nicht vertretbar. "Wenn Sie zehn Prozent Rendite oder mehr rausholen, dann ist das mit seriöser Medizin kaum möglich", so der Minister. Grundsätzlich müsse das "absurde Gewinnkonzept" im Gesundheitssystem geändert werden. Folgt man Lauterbachs Logik, müsste es Promi-Arzt Dr. U?ur Şahin mit BionTech bei 19 Milliarden Jahresumsatz verboten sein, eine sogar 54%ige Rendite zu verdienen. Privatwirtschaftliche Investitionstätigkeiten im Gesundheitswesen populistisch zu verteufeln, ist nicht nur vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Trägerpluralität ein Fehler. Oder glaubt der Minister ernsthaft, dass der Staat selbst oder eine seiner Unikliniken – noch dazu in einem System, das, wie oben ausgeführt, diverse Schwächen aufweist – es binnen weniger Monate geschafft hätte, einen Impfstoff gegen das Coronavirus zu entwickeln, so wie es den fleißigen Mitarbeitern der Aktiengesellschaft BionTech gelungen ist? Gerade in einer Zeit, in der seriöse Medizin ohne moderne Medizintechnik sowie digitale Hilfsmittel kaum zu betreiben ist, bedarf es finanzkräftiger Player, die in der Lage sind, die dafür erforderlichen Investitionen zu stemmen. Dass der klamme Staat dazu nicht in der Lage ist, beweist die seit Jahren real zurückgehende Investitionsfinanzierung der Bundesländer für ihre Kliniken auf jämmerliche Art und Weise.
Viel schlimmer als das Gewinnstreben mancher privater Klinikträger ist die ineffiziente Betriebsführung vieler kommunaler und öffentlich-rechtlicher Krankenhäuser anzusehen. Egal, wie die Zukunft der Gesundheitsversorgung aussehen wird, es bedarf einer Professionalisierung an den entscheidenden Stellen. In den Kliniken wird ein konsequentes Ressourcen- und Kostenmanagement in den Vordergrund rücken müssen. Das liegt nicht jedem der etablierten Krankenhauschefs. Daher empfiehlt es sich, die Leitung zu restrukturierender Kliniken auf spezialisierte Managementgesellschaften zu übertragen. Gerade kommunale Häuser können sich so vor der auf sie zurollenden Privatisierungswelle retten. Die Managementgesellschaften arbeiten mit den Instrumenten der privaten Träger und die Kommunen behalten die gesellschaftsrechtliche Kontrolle. Ein Modell für die Zukunft. Und das sollte auch den Minister freuen.
Über den Autor:
Dr. Nicolas Krämer ist Vorstandsvorsitzender der HC&S AG (www.hc-s.com). Er verfügt über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung im Gesundheitswesen. In seiner Laufbahn bekleidete er verschiedene Führungspositionen in Krankenhäusern unterschiedlicher Trägerschaften. U.a. war er sechs Jahre lang Geschäftsführer eines kommunalen Maximalversorgers in Nordrhein-Westfalen. Ein von ihm geleitetes Krankenhaus wurde Opfer eines Cyberangriffs. Sein Krisenmanagement führte zu einer überregionalen Bekanntheit Krämers, der Autor zahlreicher Publikationen ist. Zu den von ihm mit herausgegebenen Büchern gehört u.a. das Standardwerk „Digitale Transformation im Krankenhaus“. 2020 wurde Krämer mit dem Titel „Transformation Leader“ ausgezeichnet. 2021 war er Mitherausgeber des bei SpringerGabler erschienen Buches „Zukunft der Gesundheitsversorgung“.