85 Prozent der großen und mittelständischen Unternehmen setzen bereits eine Information Technology Infrastructre Library, kurz ITIL, ein. Bei vielen IT-Verantwortlichen in deutschen Krankenhäusern hielt sich dagegen lange das Vorurteil, dass ITIL zu komplex für den Einsatz in ihren Häusern ist. Doch ist das wirklich so? Was ist ITIL genau, welche Vorteile bringt es und worauf ist bei der Einführung zu achten? Sabine Beetz von SERVIEW und Silke Sünder von cape IT haben täglich mit ITIL zu tun. Wir haben mit den beiden IT-Expertinnen gesprochen.
Selbst bei IT-Profis sorgt der Begriff ITIL noch oft für Fragezeichen auf der Stirn. Können Sie etwas Licht ins Dunkel bringen, Frau Beetz?
Sabine Beetz: ITIL ist ein weltweit führendes Best-Practice-Management-Framework, um den IT-Service effektiv zu gestalten. Oder einfach ausgedrückt: Für jeden Vorgang im IT-Bereich sorgt ITIL für einheitliche und standardisierte Abläufe. Die Practices, um die es dabei geht, sind sehr umfangreich. Sie beschreiben zum einen die Fähigkeiten einer Organisation, Services, Technologien und umfassendere Themenfelder zu managen. Sie stellen aber auch eine ganzheitliche Sicht dar, in die auch Unternehmenskultur, Geschäftsziele und Stakeholder einbezogen werden. Das können Vorgehensweisen, Organisationseinheiten, Funktionen oder auch Prozesse sein. Und letztlich werden Practices auch genutzt, um die verfügbaren Ressourcen bestmöglich zum Einsatz zu bringen.
Okay, das klingt immer noch etwas abstrakt. Was ist denn so eine ITIL Practice genau?
Silke Sünder: Mal ein Beispielszenario: Die Mitarbeiter eines Krankenhauses kommen morgens zur Arbeit und merken, dass sie keinen Zugang zum internen Netzwerk aufbauen können, also das WLAN ausgefallen ist. So eine Störung heißt im ITIL Incident und kann für das Kerngeschäft entscheidend sein. In so einem Fall reicht manchmal der Neustart des Routers aus, aber die Ursache der Störung kann auch komplizierter sein. Alle Störungsmeldungen werden dabei in einem Ticketsystem erfasst, von IT-Mitarbeitern geprüft und dokumentiert – eventuelle Workarounds fallen dabei in die Kategorie Problem Management. Falls neue Hardware nötig ist, erstellen die Mitarbeiter einen Beschaffungsauftrag, welcher im ITIL durch das Change Management unterstützt wird. Hier kommen zusätzliche Prozesse und Verantwortungen wie Budgetfreigabe und Einkauf zum Tragen, welche oft durch Einkaufsabteilungen ausgeführt werden. So wird auch die ITIL Practice des Financial Managements abgedeckt. Und genau hier zeigt ITIL4 seine Stärke: im reibungslosen Zusammenspiel der einzelnen Practices.
Welche Vorteile haben Krankenhäuser davon konkret?
Silke Sünder: Der große Vorteil sind die klar durch ITIL definierten Vorgänge, weil der Markt heute ganz andere Erwartungen hat. Die Zeiten, in denen die IT eine bloße Unterstützungsfunktion hatte, gehen zu Ende. Die IT rückt immer näher an die wichtigsten Krankenhausabläufe heran – nicht selten wird sie selbst zu einem Kernprozess. Bei Krankenhäusern der Kritischen Infrastruktur, also ab 30.000 vollstationären Fällen pro Jahr, ist die Arbeit nach dem Sicherheitsstandard ISM sowie ITIL vorgegeben, da sie wegen der Patientendaten den höchsten Schutzbedarf haben. Durch das Patientendaten-Schutz-Gesetz sind aber auch kleinere Kliniken seit Januar 2022 dazu verpflichtet, nach dem aktuellen Stand der IT-Sicherheit zu arbeiten. Generell geht es darum, homogene, stabile und dokumentierte Arbeitsabläufe zu schaffen. Im ISM-Bereich gibt es die Anforderungen, dass etwa Incident- oder Change-Management besonders für Security-Vorfälle konzipiert sein müssen.
Sabine Beetz: ITIL wird branchenübergreifend meist von mittelständischen und großen Unternehmen eingesetzt. Mit ITIL4 können Services schneller, effizienter, einheitlicher und natürlich kostengünstiger erbracht werden. ITIL bringt Transparenz und Klarheit durch definierte Zuständigkeiten. Mit Blick auf das Business werden Geschäftsprozesse bestmöglich unterstützt. Durch ITIL wird eine höhere Effizienz und Mehrwert erzeugt. Insgesamt bringt ITIL ein großes Potenzial für Wachstum mit.
Worauf müssen sich die Mitarbeiter einer Klinik bei der Implementierung einstellen?
Silke Sünder: Zu Beginn eines solchen Projekts sollten zunächst Gespräche mit allen Beteiligten stattfinden, was genau gebraucht wird. Dazu zählen nicht nur die Mitarbeiter in der IT, sondern auch die letztendlichen User wie Ärzte, Schwestern, Pflegepersonal oder die Verwaltung. Die Practices in ITIL bieten zwar erprobte Lösungswege, können aber je nach Systemlandschaft oder Anforderungen individuell angepasst und erweitert werden. Zudem müssen wir vor der Implementierung sicherstellen, dass wir bei Problemfällen den effizientesten Lösungsweg finden. Vorfälle sollten beispielsweise nicht einfach beim ersten verfügbaren IT-Kollegen landen, sondern bei dem für das jeweilige Problem richtigen Ansprechpartner. Ebenso wichtig ist es festzustellen, welche Fälle überhaupt mit den vorhandenen Ressourcen einer Klinik abgedeckt werden können. Sind diese Fragen geklärt, steht einer erfolgreichen Implementierung nichts im Wege.
Ihr IT-Service-Management-System KIX Pro 18 wurde nun als SERVIEW Certifiedtool für 15 ITIL4-Practices ausgezeichnet, Frau Sünder. War das ein schwieriger Prozess?
Silke Sünder: Vor allem war es für uns ein großer und wichtiger Schritt, in den viel Arbeit geflossen ist! Mit KIX Pro 18 haben wir eine ganz neue Generation von KIX erschaffen, die eine Vielzahl an Konfigurations- und Administrationsmöglichkeiten mit sich bringt. Zusätzlich haben wir das Add-on ITIL Practices entwickelt, um allen Anwendern den Einsatz von ITIL4 so einfach wie möglich zu gestalten. Hierbei handelt es sich um zahlreiche Vorlagen, mit denen man schnell und einfach Störungen, Bedarfsanzeigen oder auch Serviceanfragen wie das Zurücksetzen von Passwörtern melden kann, sowie die Bereitstellung zahlreicher Berichte, um die Ergebnisse der Services und Serviceteams auswerten zu können. Diese Erweiterung kann unmittelbar nach Installation sofort produktiv genutzt werden, eine individuelle Anpassung auf die internen Anforderungen ist jederzeit möglich. Sie ist besonders für die IT-Verantwortlichen in Krankenhäusern hilfreich, die ITIL bisher für zu komplex und kompliziert für die eigenen Anforderungen hielten. Darüber hinaus bieten wir verschiedene KIX Connect-Erweiterungen für den Datenaustausch mit Fremdsystemen, etwa einem Warenwirtschaftssystem oder einer externen CRM-Software, an. Mit 15 zertifizierten ITIL4 Practices ist KIX Pro 18 im Bereich der Open Source ITSM-Lösungen aktuell die weltweite Nummer 1. Und zwar mit Abstand. Selbst nur wenige proprietären Systeme erzielen solche Ergebnisse.
Den Titel SERVIEW Certifiedtool gibt es nun bereits seit fast 20 Jahren. Wieso eigentlich?
Sabine Beetz: Genau, seit 2003 vergeben wir das kostenfreie Gütesiegel schon. Nicht nur für ITIL, sondern etwa auch für PRINCE2-konforme Software. Wir wollen damit vor allem für Transparenz und Vergleichbarkeit auf dem Softwaremarkt sorgen. Durch eine unabhängige Prüfung bieten wir am Markt eine klare Übersicht über die besten Tools und Hersteller an. Die Auszeichnung erhöht nicht nur das Vertrauen in etablierte Unternehmen, sondern kann auch der Bekanntheit von Startups einen ordentlichen Schub verleihen. Die Hersteller können sich im Software-Dschungel deutlich differenzieren. Unsere Bewerber kommen aus aller Welt, u.a. aus den USA, Spanien oder den Niederlanden. In erster Linie geht es um Zertifizierungen für Service-Management-, Ticket- und Workflowsysteme, aber auch Software für Projektmanagement und agile Produktentwicklung gehören dazu.
Silke Sünder: Diese Bewertung und die damit einhergehende Transparenz kann auch bei Ausschreibungen der entscheidende Faktor sein. Viele ITSM-Produkte werben mit ITIL-Unterstützung, ohne die tatsächlich dahinterstehenden Funktionen oder den Nutzen für den Kunden zu erklären. Das macht es vielen Krankenhäusern schwer, die für sie passende Lösung zu finden. Eine unabhängige Zertifizierung mit dem Fokus auf einzelne Fähigkeiten und Besonderheiten erlaubt einen objektiven Vergleich und hilft diesen Kunden, das Produkt zu finden, welches ihre Anforderungen am besten erfüllt.
Für den Titel SERVIEW Certifiedtool gibt es über 700 Kriterien. Wie läuft so eine Zertifizierung ab?
Sabine Beetz: Bei der Kategorie Service Management 4 zertifizieren wir einzelne Practices. Die Anzahl oder welche Practices können die Bewerber selbst bestimmen. Im Rahmen des Zertifizierungsprozesses gibt es „Muss“-Anforderungen und „zusätzliche“ Anforderungen, die zu erfüllen sind. Insgesamt können 19 Practices erreicht werden. Dies wählt der Hersteller aber selbst aus. Wenn ein Hersteller die „Muss“-Anforderungen nicht erfüllen kann oder die Mindestprozentzahl nicht erreicht, dann kann die Lösung nicht zertifiziert werden. Dies erfolgt aber in intensiven Feedbackgesprächen, so dass die Hersteller immer wissen, warum sie nicht zertifiziert werden können. Die Prüfung beginnt immer mit einem Kennenlerngespräch, und im Anschluss erhalten die Bewerber den Assessmentbogen. Wie lange der Prozess dauert, hängt dann von den Partnern ab – eine Zeitvorgabe gibt es jedenfalls nicht. Im Schnitt rechnen wir mit zwei Monaten, manche Bewerber sind aber auch schneller, bei anderen dauert es bis zu sechs Monate. Für die finale Präsentation reicht dann im Normalfall ein Tag aus. Sollte ein Unternehmen die Vorgaben nicht erfüllen, besprechen wir die Kritikpunkte. Weitere Prüfungen und nachträgliche Zertifizierungen sind natürlich möglich.
Silke Sünder: Aus Bewerbersicht können wir sagen, dass man sich durch die Vorgaben zu Beginn nicht aus der Ruhe bringen lassen sollte. Es gibt – in Anführungszeichen – leichtere Zertifizierungen mit kürzeren Fragebögen und einfachen Toolvorstellungen. Andere Zertifizierungen sind hingegen komplexer, mit mehreren Terminen und umfangreicheren Ausführungen. Die Zertifizierung als SERVIEW Certifiedtool zählt eher zu den Umfangreicheren, wobei die Aussagekraft der einzelnen Anforderungen sehr gut gewählt wurde und oft genau das abbilden, was Kunden bei einem Produktvergleich wissen möchten. Die Unterstützung und Beratung durch SERVIEW war jederzeit hervorragend – auch während der gesamten Zertifizierungsphase. Und für die Anwender ist es ein Gütesiegel, das transparent die Möglichkeiten im ITSM beleuchtet.
Über cape IT:
Die Chemnitzer cape IT GmbH ist Hersteller und Dienstleister für die Open Source Service Software KIX, die vielseitigen Einsatz, vor allem im technischen Service & IT Service Management findet. Dabei liegt der Fokus auf der individuellen Unterstützung bei Analyse, Implementierung und Anpassung an kundenspezifische Anforderungen. KIX bietet zusätzlich zu umfangreichen und individuell anpassbaren Grundfunktionen (Ticket System, Asset-Management, Self Service Portal, Wissens- und FAQ-Datenbank, Reporting, Dashboards, etc.) vielfältige Erweiterungsmöglichkeiten. So lassen sich auch ein professionelles Field Service Management, die Planung, Durchführung und Dokumentation von Wartung und Instandhaltung, automatisierte Geräte-Inventarisierung, ITSM Workflows, Telefonintegration, Security Management, Zeiterfassung und vieles mehr mit der KIX-Lösung umsetzen. cape IT beschäftigt aktuell über 50 erfahrene, ITIL®-zertifizierte Mitarbeiter an 2 Standorten und engagiert sich in den Branchenverbänden der Open Source Business Alliance, BITKOM und itSMF.
Über SERVIEW CERTIFIEDTOOL
Die SERVIEW GmbH ist eine spezialisierte Managementberatung. Seit 20 Jahren berät und trainiert die SERVIEW zielgerichtet Unternehmen beim Einsatz von Service Management, agilen Arbeitsweisen und effektivem Projektmanagement. SERVIEW zeichnet seit 2003 internationale Softwareprodukte im Bereich Service Management (ITIL® Axelos) und Projektmanagement (PRINCE2® Axelos) aus. Aktuell tragen über 45 Softwareprodukte die offizielle Auszeichnung SERVIEW CERTIFIEDTOOL und haben sich den unabhängigen Assessments gestellt.
Quelle: Cape IT
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