Transformationsprozess im Krankenhaus: mal eben das KIS austauschen und IS-H med ersetzen ?!

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Veröffentlicht 26.09.2024 13:10, Kim Wehrs

Eigentlich war es für viele im Markt keine wirkliche Überraschung – dass SAP aber im Herbst 2022 tatsächlich das Auslaufen der Lösung IS-H med bis 2027 bzw. 2030 verkündete, hat dann doch vor allem die Krankenhäuser und deren IT-Organisationen überrascht. Wobei zu unterscheiden ist, zwischen Häusern, die SAP IS-H zur Abrechnung einsetzen und solchen die SAP IS-H med als KIS und zur Abrechnung einsetzen.

In Österreich wurde und wird IS-H viel genutzt, das IT-Onlinemagazin spricht von 97% der österreichischen Kliniken, die IS-H für die Abrechnung einsetzen. In Deutschland arbeitet ungefähr die Hälfte der Uniklinika, sowie ein großer Teil der kommunalen Großkrankenhäuser mit IS-H med – also auch dem medizinischen Teil in SAP.

In einem ohnehin schon engen Markt, während der Umsetzung des KHZG und der absehbaren Schrumpfung der Krankenhäuser, war diese Nachricht in ihrer Klarheit schon ein Donnerschlag.

Wer bisher IS-H zur Abrechnung einsetzt, kann in der Regel auf die Abrechnung innerhalb des vorhandenen KIS umsteigen. Das ist zwar auch herausfordernd, da die Prozesse sich deutlich unterscheiden – aber die Baustelle ist grundsätzlich erst einmal kleiner.

Wer sein KIS wechseln muss, hat 5 bis 8 Jahre Übergang – das ist eine lange Zeit, um sich über die Anforderungen an das neue KIS klar zu werden. Schwieriger ist da schon die Finanzierung eines solchen Kraftaktes. In normalen Zeiten wagt ein Krankenhaus den KIS-Wechsel nur, wenn es unvermeidlich ist. Ein neues KIS bedeutet, auch ohne Digitalisierung, Überarbeitung sämtlicher Krankenhaus-Prozesse, sowie fast aller Schnittstellen zu Subsystemen.

Der Markt ist, wie bereits erwähnt, recht klein. Anbieter, die im Rahmen der KHZG-Projekte schon meist völlig überfordert waren, bekommen eine neue Herausforderung: zahlreiche Kliniken mit einem neuen KIS auszustatten.

Die betroffenen Uniklinika und auch die sonstigen Häuser gehen – wie zu erwarten – sehr unterschiedliche Wege. Das Universitätsklinikum Leipzig entscheidet sich in 2024 für M-KIS von der Meierhofer AG, das Klinikum Nürnberg und die Nürnberger Krankenhäuser stellen auf ORBIS um, das Klinikum Landau hatte sich 2023 für NEXUS entschieden. Das ist nur eine winzige Auswahl aus den vielen Transformationsprojekten die nun anstehen.

Dirk Hoyer, von der Johannesstift Diakonie, ist für 11 Krankenhäuser verantwortlich. 10 dieser Häuser nutzen als KIS das NEXUS KIS, 2 rechnen auch im NEXUS KIS ab, 8 rechnen mit SAP IS-H ab. Das 11. Haus wird in 2024 auf NEXUS KIS umgestellt. 

Bei den 8 Häusern, die bislang mit IS-H abgerechnet haben, wird zum 01.01.2025 die Abrechnung auf NEXUS KIS umgestellt. Die Ausrichtung bietet der Johannesstift Diakonie einige Vorteile, da bereits Erfahrungen zur Abrechnung in NEXUS aus 2 Häusern vorliegen und die Abrechnung nun in allen Häusern in das KIS integriert ist. Dennoch ist die Umstellung ein sehr anspruchsvolles Projekt, da gleichzeitig Abläufe vereinheitlicht werden und sich die Abrechnung in IS-H und Nexus deutlich unterscheidet. 

„Strategisch ist die Umstellung der richtige Weg, da zukünftig weitere Informationen aus dem KIS ohne Anpassung der IS-H Schnittstelle genutzt werden können. Ein aktuelles Beispiel ist das Implantatsregister. Die Meldebestätigung kann zukünftig aus dem KIS direkt in der Abrechnung übermittelt werden.“

Ein weiteres Klinikum, das allerdings nicht genannt werden will, sieht die Herausforderung an verschiedenen Punkten: ein potenzieller Wechsel des Krankenhausinformationssystems stellt stets eine geschäftsstrategische Entscheidung dar. Die IT-Entscheider können i.d.R. dabei lediglich die technischen Anforderungen definieren und Entscheidungsgrundlagen bereitstellen. Die gesamte Transformation ist dabei keine originäre Aufgabe der IT, sondern ein gemeinschaftliches Projekt.

Das Klinikum hat eine umfangreiche Ausschreibung für das neue KIS im Rahmen des KHZG durchgeführt, mit dem Ziel dabei auch die MUSS-Kriterien des KHZG zu erfüllen. Als Ergebnis dieser Ausschreibung findet derzeit die Migration auf das neue KIS statt. Die Kostensituation hat sich für das Haus deutlich verschlechtert: die Migration selber kostet einen einstelligen Millionenbetrag, die Lizenzkosten sind gegenüber dem bisherigen Stand um Faktor 3 gestiegen. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Lage der Krankenhäuser und der Notwendigkeit überwiegend Eigenmittel einzusetzen, ein Kraftakt der durchaus geschäftsgefährdend ist. 

Das KIS ist aber das technische Rückgrat des Krankenhauses, daher ist die Auswahl eines neuen Systems und dessen Einführung ein extrem wichtiges strategisches Projekt.

Erschwert wird die Lage durch die oftmals noch nicht vorhandene technische Marktreife der KIS, gerade im Hinblick auf die KHZG-Anforderungen. Aber auch die zunehmend stärker eingeforderten Fähigkeiten, wie Interoperabilität und deren Zukunftsfestigkeit sind kritische Erfolgsfaktoren.

Der Mangel an Fachkräften, um ein solches Transformationsprojekt fachseitig im Haus zu unterstützen, aber auch seitens des Anbieters, erschwert den Veränderungsprozess zusätzlich. Die Gefahr, dass dann interne Ressourcen über das verfügbare Maß hinaus durch Migrationsarbeiten gebunden werden und mangels Zeit und oft auch Nerven dann wichtige Prozessveränderungen unterbleiben, ist eine schwere Hypothek für die Zukunft.

Möglicherweise wäre eine zentrale Vorgabe für ein Cloudbasiertes KIS eine kostengünstige Lösung.

Lars Forchheim, CIO bei der Anregiomed, sagt zu den Optionen nach dem Aus für IS-H: „Die Optionen sind übersichtlich. Zum einen gibt es die Option des Wechsels. Dieser bedeutet in der Regel eine Ausschreibung mit Leistungsverzeichnis und je nach Umfang eine Migration von ca. 12-24 Monaten. In der Regel wird in diesem Zuge der weitere Ausbau betrieben und somit ist für „das Projekt“ eher von 5-6 Jahren auszugehen.

Die nächste Option ist mit der Cerner in die „Transformation“ zu gehen. Im Kern bedeutet es eine Mischung aus „neuen“ Systeme und dabei „alte“ Systeme zu behalten, um „sanft“ in die „neue“ Welt zu kommen. 

Die dritte und letzte Option ist, einfach nichts machen und warten wie sich die Sachen entwickeln.“

Zu den fachlichen Anforderungen und der Marktreife der angebotenen Lösungen sagt Lars Forchheim: „Der Markt der Healthcare-Lösungen ist durch das „Abrechnungssystem“ in Deutschland überschaubar. Trotzdem hat jedes System gewisse Vor- und Nachteile. Am Ende geht es um die wirkliche Umsetzung von:

- technischen, syntaktischen und semantischen Standards

- Interoperabilität

- Gewährleistung der Informationssicherheit   

Die Anforderungen im Krankenhaus, sowie innerhalb der Gesundheitsversorgungssysteme sind vielfältig. 

Die Implementierung jedes System bedarf einer guten internen Organisation, wobei es eben nicht als IT-Projekt, sondern als Organisationsprojekt verstanden werden muss.

Dabei muss die Vision des Projektes klar sein. Auf allen Ebenen muss dazu Kommunikation erfolgen und die Vision verfolgt werden. Die Fähigkeiten der Mitarbeiter müssen entwickelt, aber auch alte Fähigkeiten verlernt werden. Das Werkzeug muss zur Organisation passen, jedoch auch nicht 180 % erfüllen. Es sollte eher mit 60 % gestartet werden und dann über die Zeit mit den Nutzern angepasst werden. Die Anreize des Wechsels sollten klar betrachtet werden und auch Mehrwerte dargestellt werden. Am Ende bedarf es eines allen Beteiligten bekannten Projektplan und gutem Projektmanagement.

Der Betrieb von Lösungen im Gesundheitswesen wird immer mehr in verschiedenen Betriebsformen möglich. Die klassische Form war der Eigenbetrieb. Es wandelt sich in vielen Fällen zum teilausgelagerten Betrieb. Ebenso gibt es den vollständigen externen Betrieb.

Bei den Kriterien für eine erfolgreiche Migration sieht Lars Forchheim folgende Punkte: „Über die bereits erwähnten Kriterien hinaus, sehe ich die kritischen Erfolgsfaktoren in der internen Organisation. Es bedarf eines Key-User Konzepts. In vielen Bereichen muss auch die Teilfreistellung, z.B. 8 Stunden in der Woche, für die dauerhafte Transformation im Haus geschaffen werden. 

Bei einer Größe des Hauses von ca. 600 Betten sehe ich einen Bedarf von ca. 30 Personen mit ca. 8 Stunden „Freistellung“. Beim Anlauf und der Schulung sollte ein Schlüssel von 1:5 besser 1:3 (ein Unterstützer auf 3 Mitarbeiter) eingesetzt werden. Dieses ist nach meiner Erfahrung mit eLearning und Ergänzung durch Schulungen durch Unterstützer für das Bereichsspezifische Wissen schaffbar. Ebenso werden Checklisten und Leitfäden zur Prozessanpassung (vorher zu nachher) benötigt. 

Als wirklich wegweisendes Kriterium würde ich immer wieder sehen, dass im Rahmen der Transformation die „Sonderlocken“ weggelassen werden und die Geschäftsleitung das Projekt zu 100% unterstützt. Und dafür sorgt, dass eine 80 % Standardlösung ohne Extras geschaffen wird.“   

Abschließend weist Lars Forchheim darauf hin, dass sich die IT-Strategie sich immer von der Unternehmensstrategie ableitet. Daher ist gerade die Entscheidung über die IS-H-Nachfolge abhängig von der Unternehmensstrategie. Die Optionen sollten somit gemeinsam mit der Geschäftsleitung und den weiteren notwendigen Gremien bearbeitet und entschieden werden. Aus seiner Sicht sind dafür folgende Eigenschaften notwendig: Wagnis, Mut, Schnelligkeit und das Bekenntnis zur Unperfektion. 

Zusammenfassend lässt sich feststellen: die Abkündigung von IS-H med kam keineswegs überraschen, aber der Fakt und der zugehörige Zeitplan hat die Häuser trotz langer Übergangszeiten doch hart getroffen. Die KHZG-Projekte stellen schon eine große Herausforderung für die Krankenhäuser dar, zusätzlich nun einen KIS-Wechsel durchzuführen dürfte in mancher Einrichtung die Grenzen des Machbaren überschreiten. Zumal das Timing im etwas unglücklich ist: im Rahmen der KHZG-Projekte werden die KIS stark modifiziert, sie müssen erheblich mehr Interoperabilität unterstützen und zahlreiche Funktionen aufnehmen, die 2022 teils noch gar nicht entwickelt waren. Frühstarter im KHZG mussten sich unter Umständen komplett neu besinnen und sortieren. So etwas kostet Zeit und natürlich Geld.

Erschwerend kommt hinzu, dass so manche Einrichtung das KHZG und auch den Wechsel des KIS als reines IT-Projekt betrachtet. Da sitzt dann die IT am Steuer eines Fahrzeugs ohne Räder und ohne Motor. Das KHZG fördert die Digitalisierung, das KIS sollte diese Entwicklung unterstützen. Dazu ist es notwendig, einerseits ALLE Prozesse der Organisation auf den Prüfstand zu stellen. Andererseits müssen alle Beteiligten auch den Sinn der Veränderung sehen und verstehen, für sich akzeptieren und gut finden. Ansonsten handelt es sich um eine typisch deutsche Digitalisierung: der Text fürs Fax wird ausgedruckt und beim Empfänger per OCR wieder eingelesen. 

KIM, eArztbrief, eAU, eRezept ? Krude Gedanken pubertärer Techniker.

Leider denken auch heute, im September 2024, immer noch so manche Verantwortliche im Krankenhaus über die Digitalisierung. Insofern ist die Ablösung eines KIS auch keine Katastrophe, zwingt sie doch zum Nachdenken, Planen und Ändern.

Autor Jürgen Flemming, Pressereferent KH-IT
Mit Beiträgen von Dirk Hoyer, der Johannesstift Diakonie; Lars Forcheim, Anregiomed; sowie mehreren Beiträgen von IT-schaffenden die lieber ungenannt bleiben wollen.


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