Künstliche Intelligenz (KI) ist inzwischen auch im Gesundheitswesen in aller Munde. Was setzen erfolgreiche Lösungen voraus? Welchen Nutzen versprechen die Technologien? Wo gibt es noch Hürden, die es zu überwinden gilt? Der Fachverband für Dokumentation und Informationsmanagement in der Medizin (DVMD) e. V. brachte Ende Februar Expertinnen und Experten, Anwendende und Forschende zusammen, um Antworten auf diese Fragen zu diskutieren.
„To err is human“ – vermeidbare unerwünschte Ereignisse im Gesundheitswesen zu minimieren und Risiken zu kontrollieren zählt zu den herausragenden Aufgaben der Handelnden in der Gesundheitsversorgung. In ihrer Verantwortung liegt es, die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten. Welche Chancen und Risiken der Einsatz von KI für die Patientensicherheit mit sich bringt, beschrieb Dr. Ruth Hecker. Jährlich sterben etwa 19.000 Menschen in Deutschland an vermeidbaren Behandlungsfehlern, erklärte die Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS) e.V. in ihrer Keynote zur zweitägigen Veranstaltung. Fünf bis zehn Prozent der Patientinnen und Patienten im Krankenhaus.
KI und Patientensicherheit
„Gut gemachte KI wird künftig Patientensicherheit signifikant unterstützen können. Heute stehen wir in der Entwicklung allerdings noch zu früh da, um Effekte erwarten zu dürfen“ – so Heckers Einschätzung. Da bis zu 80 Prozent der Ursachen in der Kommunikation zu finden seien, lasse sich insbesondere bei der Dokumentation und Informationsweitergabe an Potenziale denken. Früherkennung etwa bei Sepsis, Vermeidung von Medikationsfehlern, Unterstützung klinischer Entscheidungen, Klassifizierung von Patientensicherheitsvorfällen und vieles mehr seien Anwendungsoptionen. Der digitale Zwilling zur Simulation für personalisierte Medizin bilde eine langfristige Perspektive; Leitlinien mit KI zu entwickeln und zu monitoren zähle ebenfalls zu den Möglichkeiten.
KI in der Pflege
„Data has a better idea – Daten wissen mehr (als wir)“: Dieses Statement stellte Prof. Dr. Björn Sellemann von der HAWK Hildesheim/Holzminden/Göttingen in den Raum. Pflegedokumentation sei jedoch disparat und enthalte viel Freitext, bedauerte der Experte am Eröffnungs-Vormittag. Für jegliche Lösung auf Basis solcher Daten habe zu gelten: „Gargabe in – garbage out“.
Tragfähige Lösungen auf Basis solcher ungeeigneten Daten seien somit nicht in Sicht. Sellemann forderte ein Ende der Hauskataloge; nötig wären strukturierte pflegerische Daten – laut Pflegeprozessen, mit einer Verknüpfung zu Terminologien. Hier kommt wiederum die Vielzahl an Terminologien und Klassifikationen ins Spiel. „Ohne standardisierten Einsatz gibt es keine semantische Interoperabilität“, stellte der Experte klar – und somit keine Chancen für Früherkennung, personalisierte Pflege und Patientenversorgung etwa mit kontinuierlicher Überwachung.
Prof. em. Dr. Peter Haas von der FH Dortmund konstatierte im Plenum, Freitext stelle keine Hürde mehr dar. Er forderte, Datenmodelle zur Pflege für Large Language Models, LLMs, zu entwickeln.
Breite Palette an Anwendungsszenarien
Ein großes Spektrum an Entwicklungsmöglichkeiten und Einsatzszenarien zeigten die Präsentationen zu KI in der Pharmaindustrie, im Krankenhaus und in der Softwareindustrie. Datenqualität, so ein Tenor, ist entscheidend für die Automatisierung zur Erhöhung der Prozesseffektivität, etwa für den Einsatz in klinischen Studien und in der Pharmakovigilanz. Im Krankenhaus bleiben bislang 97 Prozent der Daten ungenutzt, weil sie nicht strukturiert oder nicht leicht verfügbar sind, erläuterte einer der Referenten. Natural Language Processing kann hier helfen. Informationen lassen sich aus Freitexten gewinnen und mit Metadaten angereichert als strukturierte Daten einsetzen – zur Unterstützung etwa bei Meldungen fürs Implantateregister, für Zuschläge bei G-DRGs, zur generellen Entlastung des Medizincontrollings ebenso wie zur Erlössicherung und zur Evaluation der Behandlungsqualität.
Fortschritte unter anderem bei der Genauigkeit
Der KI in der klinischen Forschung, im Datenmanagement, bei Krebsregistern und in der Informatik hatten die Veranstalter den zweiten Tag gewidmet. Auch hier wurde deutlich: Die Innovationen werden granularer, Ergebnisse genauer und Bedienoberflächen komfortabler („no code“). Die Aufforderung von Vortragenden lautete: „Verweigern Sie sich nicht! KI-basierte Technologie kommt auf jeden Fall. Tun Sie sich zusammen mit Experten aus verschiedenen Bereichen, um Nutzeneffekte herauszuholen“.
Welche Schlussfolgerungen konnten Teilnehmende mit nach Hause nehmen? Annett Müller, Vorsitzende des DVMD, fasste zusammen: „Qualitätsvolle, vertrauenswürdige (strukturierte) Daten bilden das Fundament für die Verwirklichung der Nutzenversprechen. Eine Vielzahl von Lösungen befindet sich in Entwicklung bzw. im Einsatz; die Beschleunigung und Sicherung von Prozessen in Klinik, Verwaltung und Forschung ist ihr Ziel …sowie die Reduktion das Aufwandes für Routineabläufe, was zur Verringerung der Arbeitsbelastung der Mitarbeitenden führen kann“. Der Verband freute sich sehr über die intensive Beteiligung und führt seine vielfältigen Weiterbildungsangebote engagiert fort.
Quelle: Krankenhaus-KI Journal, Ausgabe 02/2025, Stand April 2025
Autor: Michael Reiter