Der Entwurf der Förderrichtlinie für das KHZG wurde einem erfreulich großen Kreis an Verbänden und Einrichtungen zur Kommentierung zur Verfügung gestellt. Die sehr kurze Zeit zur Kommentierung und die ebenfalls sehr kurze Zeit zur Einarbeitung dieser Rückmeldungen lässt allerdings leise Zweifel am Sinn der Aktion aufkommen.
Der tiefere Blick in die Förderrichtlinie zeigt – nicht völlig überraschend – dem Praktiker, dass die Autoren eine recht klare Vorstellung vom digitalen Krankenhaus der Zukunft haben. Leider scheint dabei der Blick in die Realität verloren gegangen zu sein.
Im Ergebnis sind die Pflicht-Anforderungen in den Fördertatbeständen oftmals nicht erfüllbar. Die geforderte vernetzte schöne digitale Welt existiert im Krankenhaus leider nur sehr selten.
Die deutschen Krankenhäuser leiden seit Jahren unter krasser Unterfinanzierung, in einer umfangreichen Studie unseres Bundesverbands haben wir bereits 2018 nachgewiesen, dass den IT-Abteilungen in den kommenden fünf Jahren mindestens 11,6 Mrd. € fehlen.
Die Förderrichtlinie setzt mit dem KHZG daher auf einem Stand auf, der für die meisten Häuser nicht existiert. Damit steht die Förderrichtlinie auch im krassen Widerspruch zu den mit dem Gesetz veröffentlichten Kommentaren, die dem Verdacht, dass nur bereits stark digitalisierte Häuser gefördert werden sollen, entschieden widersprochen haben.
Das größte Manko sind die mit dem Gesetz nicht abgedeckten künftigen Betriebskosten (z.B. Wartung, personelle Aufstockung, laufende Software-as-a-service-Kosten). Dies kann dazu führen, dass die Lösungen nicht langfristig betrieben werden. Damit dürfte das Ziel einer nachhaltigen Digitalisierung des Gesundheitswesens, insbesondere der Krankenhäuser, nicht erreicht werden.
Unter diesen Rahmenbedingungen rechnen wir nicht mit einer grundsätzlichen Revision der Förderrichtlinie, auch wenn dies die einzig richtige Maßnahme wäre.
Der Praxisbezug der Autoren und ihrer Berater lässt leider sehr zu wünschen übrig. Eine Hospitation in der Krankenhaus-IT würden wir sehr begrüßen und natürlich unterstützen – in der Hoffnung, besser vermitteln zu können, wo die eigentlichen Hindernisse für die Digitalisierung der Krankenhäuser liegen.
Der Förderrichtlinie fehlt der Bezug zur realen IT-Welt der Krankenhäuser, damit werden die Digitalisierungsziele des KHZG gefährdet.
Der hohe Anspruch des KHZG, den Einsatz von digitalen Lösungen im Gesundheitswesen, insbesondere in den Krankenhäusern durch ein Gesamtbudget von 4,3 Mrd. € spürbar und nachhaltig zu fördern, wird in großen Teilen durch die Förderrichtlinie konterkariert.
Wünschenswert ist, wenn in der Förderrichtlinie konkreter beschrieben wird, nach welchen Kriterien die Entscheidung über die Anträge erfolgen soll. Dies wäre eine Chance gewesen, die im Gesetz recht widersprüchlich formulierten Meilensteine klar darzustellen.
In dem Zusammenhang ist auch der Zeitplan zur Vorbereitung fundierter Anträge sehr eng. Die notwendigen Meilensteine eigene Bedarfsanalyse, Marktanalyse für verfügbare Lösungen, Kostenschätzung bis hin zur eigentlichen Antragsformulierungkönnen nur rudimentär durchlaufen werden. Hier wäre eine Klarstellung über die Auswahlkriterien zur Bewilligung von Anträgen wichtig.
Im Gesamtverfahren ist auch der zeitliche Aufwand für Ausschreibungs-und Vergabeverfahren (VOL) nicht berücksichtigt. Hier hätte es in der Ausgestaltung der Förderrichtlinie die Möglichkeit gegeben, einfache Vergabeverfahren zuzulassen.
Weiterhin sind einerseits die je Fördertatbestand beschriebenen MUSS-Kriterien in ihrer Zielrichtung und ihrem Zweck nachvollziehbar, andererseits engen die Vorgaben die freie Ausgestaltung im Sinne einer Krankenhaus-individuellen Umsetzung erheblich ein. Es ist nicht zielführend und nicht sachdienlich, wenn neben der Zielbeschreibung auch bereits der Weg, sowie konkrete Werkzeuge vorgegeben sind.
Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob die geforderten Funktionalitäten auch bereits am breiten Markt verfügbar sind. Es dürften noch einige Module in den genutzten Standardsoftwarelösungen fehlen. Alternative Softwarelösungen sind meist nur schwer und mit Brüchen im Datenfluss umsetzbar und somit oft nicht praxistauglich.
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass sich in den MUSS-Kriterien Anforderungen wiederfinden, die in der Theorie durchaus Sinn ergeben, die in kleinerem Umfang in Pilotprojekten auch als Prototyp umgesetzt wurden, die aber bisher in der Praxis keine oder noch keine Rolle spielen. Meist sind die Lösungsanbieter selbst noch nicht in der Lage, die Funktionen zu liefern.
Weiterhin werden in den MUSS-Kriterien Funktionen gefordert, bei denen bereits heute klar ist, dass es hierfür Verfahren und Funktionen auf Basis der Telematikinfrastruktur geben wird. Es ist zu befürchten, dass sich kleine und mittlere Häuser wenig bis gar nicht an der Beantragung der Fördermittel beteiligen wollen oder können, obwohl sie meist aufgrund der fehlenden Investitionsmittelbereitstellung in den letzten Jahren den größten Bedarf an Unterstützung in der Digitalisierung haben dürften.
In der Folge werden diese Häuser durch die bereits angekündigten Malus-Regelungen in weiter schwierige wirtschaftliche Fahrwasser geraten, ihnen wird die Insolvenz und ggf. Schließung drohen. Oder bedeutet KHZG nur Zukunft für die mittleren und großen Häuser?
Auch lässt sich vermuten, dass die Krankenhäuser offensichtlich Druck auf ihre jeweiligen Anbieter aufbauen sollen, damit diese ihre Produkte weiter entwickeln. Dies dürfte allerdings nur von mäßigem Erfolg sein, da der KIS-Markt und somit die Anbieter überschaubar sind. In der Konsequenz kann es bedeuten, das jeweils bereits genutzte KIS in Frage zu stellen und sich mit einem Wechsel der Lösung zu beschäftigen, was aber zeitlich und auch finanziell den Rahmen des KHZG sprengt.
Die Rolle der zu beauftragenden IT-Dienstleister sehen wir kritisch. Ihnen wird im Rahmen der Nachweispflicht eine entscheidende Rolle eingeräumt. Damit steuern sie wesentlich mehr die Inhalte der Förderanträge als es dem Krankenhaus möglich ist. Aufgrund der Schulung der Dienstleister ab Anfang 2021 verzögert sich die Antragstellung um einen weiteren Zeitraum.
Auf einige Aspekte soll in der kritischen und konstruktiven Betrachtung nachfolgend näher eingegangen werden.
Der Großteil der MUSS-Kriterien für die geforderten Patientenportale könnte die Überschrift „Telematikinfrastruktur“ tragen. Warum sollen hier Redundanzen aufgebaut werden? Das ist nicht nur organisatorisch und technisch widersinnig, sondern auch wirtschaftlich nicht sinnvoll. Dazu zählen beispielsweise das Hochladen sowie die Bereitstellung von Dokumenten vom/für den Patienten. Dies wird die TI-ePA künftig abbilden. Deshalb sollte hier eher auf deren Integration in die Portale verwiesen werden.
Weiterhin werden digitale Aufklärungsbögen und -filme gefordert. Hier sollte bekannt sein, dass die Abrechnungsmodelle überwiegend nach einem on-demand-Bezahlverfahren laufen, also pro Bogen und Film zu zahlen ist. Diese Kosten sind nach der Projektzeit nicht mehr über die Fördermittel refinanziert, können sich aber bei einem Haus mittlerer Größe auf einen jährlichen 6-stelligen Betrag summieren. Dieser Grund könnte ebenfalls dazu führen, dass für Portale nur wenige Anträge gestellt werden.
Ein weiterer Punkt. Warum soll zwingend in der Pflegedokumentation mittels Spracherkennung gearbeitet werden?
Das Ziel einer zeit- und ortunabhängigen Dokumentation kann auch über innovative, app-basierte Lösungen auf Tablets oder Smartphones realisiert werden. Die Spracherkennung wird eher weitere Probleme nach sich ziehen.
Zum einen sind die in der Regel hohen Lizenzkosten für die entsprechenden Module zu nennen, da sich eine internetbasierte Erkennung via Internetdiensten von Apple, Google, Amazon usw. aus Datenschutzgründen verbieten sollte. Bei der Nutzung von Spracherkennung, vor allem wenn im Mehrbettzimmer oder auf dem Flur die Dokumentation erstellt wird, ist der Datenschutz sehr kritisch zu sehen.
Mehrfach wird in den Fördertatbeständen auf die Übernahme und sogar die Bereitstellung von Daten der Smart-Devices und Wearables der Patienten verwiesen.
Dies ist kritisch zu sehen. Hier ist generell die Validität und somit die Relevanz hinsichtlich der Nutzung im weiteren medizinischen Prozess in Frage zu stellen. Nur MDR-/ MPG-zertifizierte Lösungen mit standardisierten Schnittstellen dürften hier die nötige Sicherheit für den Arzt geben, sich auf diese Daten verlassen zu können.
Damit einher geht auch ein gravierendes IT-Sicherheitsproblem, das sich nur schwerlich lösen lässt: Fremde Geräte müssen an die Infrastruktur des Krankenhauses angeschlossen werden. Das birgt, auch weil kein Zugriff auf die Geräte selbst möglich ist, erhebliche Gefahren und Risiken bzgl. Schadsoftwarebefall der Krankenhaus-IT. Hier wird der Weg über die TI und die ePA der sichere Weg sein, wenn auch der medizinische Nutzen in Frage zu stellen ist.
Zusammengefasst sind die Förderrichtlinien im vorliegenden Entwurf nur bedingt dazu geeignet, den Krankenhäusern den notwendigen Gestaltungsraum zu geben, den es braucht, um sinnhaft Prozesse zu digitalisieren und die medizinische Versorgung spürbar qualitativ voranzubringen. Es bleibt zu hoffen, dass entscheidende Passagen bis zur Veröffentlichung überdacht und korrigiert werden.
Die Autoren aus dem KH-IT Vorstand
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Der Bundesverband der Krankenhaus-IT-Leiterinnen/Leiter e.V. kurz KH-IT (www.kh-it.de) ist der führende Berufsverband der Krankenhaus-IT-Führungskräfte. Der KH-IT steht allen leitenden und/oder verantwortlichen Mitarbeitern der Krankenhaus-IT offen.
Quelle: Krankenhaus-IT Journal, verbandsseiten KH-IT, Dezember 2020