Was schreibt man aktuell über Healthcare-IT, wenn fast alle Themen sich für Satire zu eignen scheinen?
Telematikinfrastruktur mit Gewalt (und Malus) statt Prozessdenken. Corona-IT als Pannenserie für Millionenbeträge und man hat nicht den Eindruck als würden die letzten zweifelhaften Entscheidungen die Nächsten wenigstens ein wenig positiv beeinflussen. Gerade aktuell: Der Europa-taugliche deutsche digitale Impfpass. Aber da ist auch noch der KIS-Markt: Eine Unternehmens-Übernahmewelle schwappt durch den D-A-CH-L-Markt. Am Drücker: Die üblichen Verdächtigen. Shoppen auf Pump? Da stellt sich die Frage wer die Zeche am Ende zahlt?
Nun gut, es ist also schwierig in einem Blog aktuell „mal eben“ auf ein einziges Thema einzugehen, da bliebe so viel unausgesprochen…
Starten wir mit der aktuellen Ausschreibung für den deutschen digitalen Impfpass. Der muss mal wieder schnell her. Immerhin steht der Sommerurlaub vor der Tür und es ist immer eine gute Idee den Fertigstellungstermin und die Feier vor dem Projektplan festzulegen. Allerdings gibt es auch noch das Problem mit der Europa-Kompatibilität. Also „haut“ man eine Ausschreibung raus und überlässt alle Konsequenzen (vor allem die wirtschaftlichen) dem – unvermeidlichen - Change-Verfahren. Das dürfte ein Fressen für die IBM-Anwälte werden. Aber bestimmt setzt das Bundesministerium wieder hochdotierte Berater wie die Kollegen Wissennix ein, die nicht einmal Arztpraxen korrekt zählen konnten. Eine Aufgabe die jeder mittels Internet, Suchmaschine und z.B. statista in 20 Minuten erledigen kann. Allerdings impfen nicht alle Arztpraxen, ist es doch eine etwas gewagte These, dass jede Infrastruktur dafür geeignet ist. Insofern ist es schon erstaunlich, dass der Impfstoff trotzdem nicht reichte (nach Ostern, wir erinnern uns). Der Vertrag, der im Kontext des Impfpasses geschlossen wird, stellt mindestens eines sicher: Jede Menge unkalkulierbare Folgekosten. Warum muss man die Ausschreibung eigentlich abschließen, wenn zwei Tage später die EU ihr europäisches Konzept vorstellen wird? Die 48 Stunden werden das Projekt vermutlich nicht ernsthaft voranbringen, oder? Eher kann man davon ausgehen, dass die Helden des deutschen Äquivalents zum gallischen Dorf dann voll in Aktion treten: Wirdnix und Klapptnix stehen Gewehr – ach nein Schwert – bei Fuß um sich voll ins Zeug zu legen. Geholfen wird ihnen dabei durch die TI, vertreten durch den Mitspieler Telemachtnix. Die ist nämlich in der Ausschreibung verpflichtend zu benutzen, durch die Impfzentren und Arztpraxen über das Frontend. Tja… Welches Frontend benutzen dann wohl die Betriebsärzte oder die Krankenhäuser, die ihr Personal geimpft haben? Schreibt das Kollege Gipsnich? Außerdem meine ich gelesen zu haben, dass die Apotheken den Impfpass ausstellen sollen. Mit dem gleichen Frontend? Aber egal, die machen das jedenfalls – unter Mühen.
Wo gerade die TI vorkam: Lustige Anekdote. Ich kenne einen sehr guten Anbieter im Kontext IT-Security und TI-Dienstleistungen (Hardware, VPN-Dienste usw.). Vor einigen Wochen (Tendenz Monate) bat ich um die Vermittlung von KIM-E-Mail-Adressen. Die soll man ab dem 01.07.2021 irgendwie benötigen... für so Sachen wie eAU per deklinierten festen Terminen. Die „sicheren“ TI-Mailadressen kommen am Ende alle von der Telekom und das scheint mir ein Monopol zu sein, da alle anderen Anbieter letztendlich „nur“ Kooperationspartner sind, oder? Jedenfalls war mein akkreditierter Telekom-Partner nicht in der Lage mir seitdem weiterzuhelfen. Komisch, oder eher irritierend, ist allerdings, dass die Telekom gleichzeitig Kalt-Akquise mit eigenen Truppenteilen am Markt fährt. Werden die eigenen Partner geblockt, um keine Marge weitergeben zu müssen?
Was auch schön ist: 9,90 € für eine E-Mail-Adresse? Im Monat? Neben den immensen Kosten für den lumpigen VPN-Zugang auf die TI gleich wieder so ein Kostentreiber der Digitalisierung. Die soll ja alle Prozesse einfacher und Patientennäher machen, treibt aber die Kosten der Leistungserbringer (und da blenden wir die unsägliche Erstattungsdiskussion mal aus). Ganz abgesehen von der sinnfreien Personenbindung bei Diensten die in großen Organisationen eben keinen Sinn macht und selbst in kleinen zweifelhaft sein dürfte. Da hat „man“ mal wieder auf der Ebene Arztpraxis mit einem Inhaber „gedacht“ (sofern man „denken“ in diesem Kontext vermuten oder unterstellen möchte). Allein der administrative Aufwand größerer Institutionen und Organisationen, der dafür (wieder) zu treiben ist, vervielfacht die „Produktkosten“ immens.
Aber was ist das schon, wenn wir vermutlich bald wieder die gesamte Infrastruktur zur Anbindung an die TI wegwerfen sollen? Überwiegend ungenutzt und frei von Prozessnutzen. Konnektoren, Kartenterminals und vermutlich auch noch die SMC-Bs. Andererseits… Was soll’s, das machen wir ja seit 2004 regelmäßig… Der ganze Aufwand wird zudem von Gesetzfix fürstlich entlohnt.
Glücklicherweise rettet uns aber alle das KHZG. Außer die Kollegen um Kriegtnix sorgen dafür, dass ein (eventuell großer) Anteil der Anträge gar nicht positiv beschieden wird. Zum Beispiel weil bereits erfolgte Investitionen in Informationssicherheit nicht angerechnet werden dürfen. Was großer Quatsch ist, denn wenn es um Digitalisierung ginge, dann wäre Inhalt das Ziel, nicht Ausschlusskriterien die sich als Benachteiligung auswirken werden. Da hätte es einen Anrechnungszeitraum (z.B. zwei Jahre prä 2.9.2020) für nachgewiesene Investitionen geben müssen, um wirklich sinnvoll für die flächendeckende Digitalisierung zu sein.
Dazu kommt noch, das im „werdenden“ Reifegradmodell der Ist-Zustand aufgenommen wird, den viele Krankenhäuser aus schierer eigener Kraft und Willen geschafft haben. Mit erheblichen Investitionen, die man – siehe zuvor – weder anrechnen kann noch der Gesetzgeber diese unterstützt hat. Mit Ländermitteln kommt man in den letzten Jahren jedenfalls nirgends hin… Jetzt muss man sich ggf. „negativ“ bewerten lassen, weil der „Sprung“ durch die KHZG-Finanzierung zwischen Messung 1 und Messung 2 vielleicht „zu klein“ bleibt? Ein Schelm wer glaubt, dass an der Reifegrad-Bewertung demnächst nicht wieder irgendein Malus hängen würde. Das fängt schließlich mit Zwang und Malus im KHZG schon an, nämlich da wo ich aus fadenscheinigen oder begrenzenden Gründen (nicht zulässige Verrechnung/Verteilung, nicht zulässiger Nachweis und Anrechnung von Vorleistungen) die Hürde Informationssicherheit nicht mehr nehmen kann. Weil ich schon dahinter stehe…
Anscheinend rettet das KHZG bei der Gelegenheit allerdings die KIS-Anbieter. Da gehen nämlich aktuell einige heftig shoppen - auf Pump. Vermutlich in der Annahme, dass die überbordenden Einnahmen aus Projekten mit KHZG-Förderung eine Teilfinanzierung der erwarteten Margen ihrer Investoren sicherstellen. Erstaunlich das der Bund einmal nicht die Automobilwirtschaft im Fokus hat. Dedalus übernimmt Dosing und gleich noch OSM (na gut… Agfa und OSM galten ja ohnehin immerhin als verlobt in Geiste und Preisgestaltung), hat aber kein eigenes Geld. Schließlich war Dedalus schon beim Kauf von Agfa der „kleinere“ Umsatzpartner der Beiden. Die CGM hat noch Sodbrennen von CERNER, shoppt aber fröhlich VISUS aus dem Markt. Alles auf Pump mit Investorengeldern, denn die eigenen Portokassen geben das definitiv nicht her.
Jetzt kann man natürlich feststellen: Wow! Super! Internationales Wachstum ist auch gut für mich als deutscher Kunde. Oder… man fragt sich welche Konsequenzen sich aus dem ROI und den Margenerwartungen ergeben? Die Geldgeber weisen primär eine amerikanische Margenmentalität auf. Das bedeutet alles unter 20% ist schlecht. 20% funktionieren jedoch im DACH-Markt nicht. Was bedeutet: Anbieterressourcen schrumpfen, um die Refinanzierung zu schaffen. Das wird dann als Synergie vermarktet. Allerdings leitet Kollege Bringtnix das Projekt. Im DACH-Markt herrscht zu wenig Marktwirtschaft, zu viel Planwirtschaft, er ist überreguliert und teuer mit Auflagen und Restriktionen versehen. Gepaart mit einem Finanzierungssystem das auf Bundesseite „Sparen, kürzen und Malus-Sanktionen bis zur Insolvenz“ mit der Landesseite „Investitionsmittel sind gerade (seit 15 Jahren) knapp“ kombiniert. Da kommen 4,3 Milliarden aus dem KHZF gerade recht, um das Gegenteil zu beweisen. Ach nein, es sind bei optimistischer Betrachtung nur 3,61. Die Mehrwertsteuer geht ohnehin nur rechte Tasche linke Tasche. Zudem kommen dabei recht wenig Produkte heraus. Schließlich räumen die Software-Anbieter keine nennenswerten Rabatte mehr ein und es gibt auch noch die Nebenkosten von Umsetzung und Betrieb. Warum auch Rabatt? Die Zeche zahlt doch Mama Staat, nicht das Krankenhaus. Witziger Ansatz. Wer möchte nicht mehr für sein Geld?
Bei dem allgemeinen Investitionsstau sind 3,61 Milliarden sowieso nur ein Tropfen auf den heißen Digitalisierungs-Stein, zumal sie mit Sicherheit durch Landesbehörden (1,3 Milliarden „Sparvolumen“) und BAS (Bundessparfuchs kraft Auslegung des KHZG und der Förderrichtlinie) noch eingekocht werden. Wer versucht hat ein Softwareprojekt der Tatbestände 2-6 inklusive Personal- und Betriebskosten bis 2023 zu kalkulieren wird schnell festgestellt haben, dass er sich damit kaum Produkte kaufen könnte. Dafür würde man tatsächlich große Rabatte auf Lizenzen benötigen. Faktisch dürften viele, vermutlich die meisten, Krankenhäuser sich bei den Anträgen auf Produktbeschaffungen beschränken und hoffen, dass die Betriebskosten irgendwie wegzustecken sind. Was nur funktioniert, wenn sich viele Kalkulationshäuser viele neue Systeme gönnen können. Ansonsten werden nämlich die Kosten nicht angepasst. Was bedeutet ab 2024 brauchen die Krankenhäuser bei 4,3 Milliarden Ausschüttung (wenn auch Unwahrscheinlich) pro Jahr knapp 860 Millionen € zusätzliche Instandhaltungskosten der Digitalisierung. Das habe ich zwar schon einmal erwähnt. Es kann aber nicht schaden das zu wiederholen, weil Kostnix gerade frei hat.
Michael Thoss
Krankenhaus-IT-Leiter und Autor.