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Digitalisierung ist indes kein Allheilmit- blem.“ (Hören Sie dazu das Interview mit und semantischen Interoperabilitäts-
tel gegen ineffiziente klinische Abläufe, Dr. Stefan Ebener.) standards, wie sie auf FHIR zu treffen.
sondern erfordert eine gute prozessuale Zu Digitalen Kompetenzen und den Das macht den Standard zu einem der
Grundlage. „Auf gesundheitspolitischer Menschen hinter der digitalen Transfor- wichtigsten für die modernen Interope-
Ebene brauchen wir zukunftsfähige mation gab Jana Aulenkamp, Ärztin und rabilität. „Krankenhäuser müssen ihre
Strukturen, um mittels Digitalisierung Autorin zu bedenken: Es fehle Wissen Systeme erweitern und darauf achten,
die großen demografischen und finan- und mangele an Vertrauen des medizi- dass dort die internationalen Standards
ziellen Herausforderungen zu meistern.“ nischen Personals, eine Integration von - FHIR, IHE und SNOMED - genutzt
Dazu gehören, wie Werner betonte, der Innovationen in den klinischen Alltag werden und keine proprietären Schnitt-
überfällige Breitbandausbau, ebenso eine sei erschwert. “Digitaler Kompetenzauf- stellen und Terminologien, die nicht in
grundlegende Neuordnung zum vernetz- bau darf nicht als Nebenprodukt einer der Strategie der Bundesregierung und
ten Gesundheitswesen einschließlich der fachlichen Wissensvermittlung erwartet EU vorgesehen sind.“
bereits vor der Pandemie eingeleiteten werden, sondern braucht die gezielte und
Konsolidierung der Kliniklandschaft. systematische Verankerung in Curricula.” Rollen, Beziehungen und
Auch Telemedizin gehöre deutlich stär- Mit Blick auf Digital-Lösungen meinte Verantwortlichkeiten
ker als bisher in den Fokus. „Digitali- sie, erst dann erzeugten sie wirklich Nut- Wenn der Artificial Intelligence (AI)-
sierung im Gesundheitswesen ist kein zen, wenn sie untereinander verknüpfbar Algorithmus einen Fehler macht, wer
Selbstzweck, sie muss ausbalanciert sein seien und sich ergänzten. „Wenn ich als haftet bei Anwendung der KI im
und ergänzt werden durch menschliche Patient bald für jede Erkrankung eine Gesundheitswesen bzw. am Patienten?
Nähe.“ Dann könne sie dazu beitragen, App habe, diese sich jedoch nicht unter- Wer ist Haftungssubjekt? KI? Herstel-
Ärzte und Pflegekräfte wieder patienten- einander austauschen und mir die Benut- ler? Arzt bzw. Krankenhaus? Prof. Dr.
nah einzusetzen und den Menschen wie- zung vereinfachen, wird die Benutzung Alexandra Jorzig, Rechtsanwältin, Fach-
der verstärkt in den Fokus der Behand- und auch der Nutzen begrenzt.“ Firmen anwältin für Medizinrecht, Professorin
lung zu stellen, meinte Werner. (Hören und die Politik müssten daher in Schnitt- für Gesundheitsrecht, bei Jorzig Rechts-
Sie dazu das Interview mit Prof. Werner.) stellen und gemeinsame, unternehmens- anwälte, wies in einer Keynote auf eine
übergreifende Ansatzpunkte investieren, Haftungsfalle bei der Künstlichen Intel-
Radikale Technologien für auch wenn das gegen das Verständnis ligenz (KI) als Black Box hin. Derzeit
den Gesundheitssektor einiger Firmen gehe. (Hören Sie dazu reiche das Haftungssystem für im Ein-
„Künstliche Intelligenz kann uns zu das Interview mit Jana Aulenkamp.) satz befindliche „schwache“ KI noch aus.
gesünderen Menschen machen,“ meinte I.I.1 Prof. Dr. Sylvia Thun, Direktorin Künftig ist die zunehmende Etablierung
Dr. Stefan Ebener, Head of Customer für Digitale Medizin und Interoperabi- von „starker“ KI zu erwarten. Dann sind
Engineering, Google Cloud. „Dazu sind lität Charite, griff den Gedanken auf. Sie neue rechtliche Grundlagen zu schaffen.
Potentiale radikaler Technologien für beschäftigt das Thema Interoperabilität Haftungsfragen mit Blick auf Arzt als
den Gesundheitssektor zu heben, die im Gesundheitswesen schon lange und Anwender sowie Hersteller sind teilweise
Regulatorik zu verändern und Verständ- ganz aktuell als Leiterin des Konsorti- offen. Anzustreben sei jedenfalls eine
nis zu schaffen.“ ums „DigitalRadar“. Anliegen ist die interessengerechte Haftungsverteilung.
Healthcare Providers müssten alle Evaluierung des Reifegrads der Kranken- (Hören Sie dazu das Interview mit Prof.
Bereiche in der Organisation durch die häuser hinsichtlich der Digitalisierung Jorzig.)
Cloud-Technologie transformieren. nach § 14b KHG. Mit der kürzlich in Offen ist auch die Digitalisierung
Das betrifft Daten-Interoperabilität, Kraft getretenen Gesundheits-IT-Inte- von Pflegeprozessen, wie Prof. Dr. Mar-
Patientenwohl oder auch Behandlung. roperabilitäts-Governance-Verordnung tina Hasseler, Professorin Klinische
Das Ökosystem demokratisiert die (GIGV) möchte das Bundesgesundheits- Pflege, Ostfalia Hochschule für ange-
Healthcare-Information. Nicht allein ministerium Strukturen etablieren, die wandte Wissenschaften, mit den Teil-
die Technik, sondern das Mindset treibt interoperable IT-Systeme sicherstellen. nehmern diskutierte. Technologie soll
die „Healthcare Digital Transformation Das KIS oder die Telematikinfrastruktur den steigenden Mangel an Pflegeperso-
Journey“ an. Es geht um medizinische werden an FHIR angebunden und sol- nal kompensieren und entlasten. Diese
Vorsorge, die es durch patienten- und len sich in Zukunft mit allen Daten aus Perspektive geht mit einer zunehmen-
datengetriebene Digitalisierung in anderen Anwendungen vernetzen kön- den Diskussion über Pflegeinformatik
einem Empfehlungssystem wie Google nen. Das Krankenhauszukunftsgesetz und erweiterten Wertschöpfungsketten
zu unterstützen gilt. Ebener: „Der Fokus KHZG bestimmt den Einsatz von inter- einher. „Wir müssen zunächst professi-
liegt auf der Lösung, nicht auf dem Pro- national anerkannten, syntaktischen onelle Pflege und Pflegeprozess sowie
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