Page 8 - gmds-praxisleitfaden
P. 8
Das Weiterentwickeln der Serviceprozesse einer IT-Abtei- mehr das Alleinstellungsmerkmal der Medizininformatik in
lung findet aber nicht nur auf Basis der steigenden User statt, Universitäten, sich in den Datennomenklaturen wie SNOMED
sondern auch durch die Kritikalität der betroffenen klinischen CT oder LOINC zurechtzufinden. Auch Großprojekte wie die
Prozesse. Längst werden nicht mehr nur die Dokumentati- Medizininformatik-Initiative und ihre mittlerweile etablierten
onsprozesse im klinischen Alltag unterstützt. Durch die ste- Strukturen zur Datenaufnahme aus den klinischen Systemen
tig steigende Vernetzung der Systeme und die Bereitstellung finden langsam den Weg in die allgemeine Krankenhausland-
strukturierter Daten ist die Behandlung des Patienten vollstän- schaft. Die klassischen KIS-Systeme sind dazu immer noch zu
dig abhängig vom Betrieb der IT-Systeme geworden. Dieser starr und proprietär. Spätestens mit Blick auf die wirtschaftli-
Umstand erfordert nun ein übergreifendes Kontinuitätsma- che Abhängigkeit von den Herstellern wegen fehlender Inter-
nagement und Serviceprozesse, die diese Ansprüche erfüllen operabilität ihrer Lösungen sollten Architekturen wie Clinical
können. Ausgelagerte 1st Level-Prozesse und die Etablierung Data Repositories, die auf internationalen Standards wie IHE
professioneller IT-Service-Rahmenwerke wie ITIL ebenso und FHIR-Spezifikationen basieren, ein Ziel sein.
wie skalierbare externe Software- und Plattform-as-a-service- Damit gehen aber auch Ausbildungskonzepte sowohl für
Modelle sind die notwendige Folge und heute schon in größe- die medizinischen Anwender als auch für die operative Umset-
ren Kliniken umgesetzt. zung in der IT einher. Denn hier entwickelt sich eine Wis-
sens- und Fachkräfteschere: Während größere Verbünde und
3. Neue Verantwortungsbereiche durch den Kliniken, allen voran die Universitätskliniken, das notwendige
Fokus auf den klinischen Prozess Personal ausbilden oder zumindest durch entsprechende Ska-
Bisher gibt es für die ganzheitliche Betrachtung des medi- lierung abbilden können, sind allgemeine Krankenhäuser auf
zinischen Prozesses in der Klinik nur selten definierte Ver- den Zukauf externen Wissens bzw. auf gekapselte Lösungen der
antwortliche. Es fehlt an Brückenbildnern, die zwischen den Systemhersteller angewiesen und vergrößern damit die Abhän-
Anforderungen der Anwender, den gesetzlichen Vorgaben, den gigkeit zu den Lösungsanbietern.
technischen Möglichkeiten und den operativen IT-Abteilun- Generell erfahren auch die IT-Abteilungen den immer
gen vermitteln und Lösungen auf den Weg bringen. Das KHZG stärker wahrnehmbaren Fachkräftemangel. Ausbildung fin-
bietet an dieser Stelle einen wichtigen Impuls. Denn durch die det kaum noch statt, und das Bild der Klinik-IT wird immer
MUSS-Kriterien - wirken sie manchmal noch so unsinnig für komplexer und spezieller, um zielgenaue, erfahrene Personen
eine Klinik - wird der Einbezug der Anwender und damit die zu finden. Parallel dazu verlassen erfahrene Personen, nicht
Prozessbetrachtung regelrecht erzwungen. Als Folge wird ein selten mit undokumentiertem Wissen im Kopf, die Unterneh-
Change-Management notwendig, das durch die IT-Abteilung men und hinterlassen große und im hektischen Betrieb kaum
begleitet, aber nicht mehr verantwortet wird. Der Change- schließbare Lücken.
Prozess bietet auch die Möglichkeit, Schulungen sowohl für
den Prozess als auch für die entsprechenden Softwaresysteme 5. Dauerhafte Anpassungen der Strategie
durchzuführen. Dadurch erfährt der neu eingeführte Prozess durch häufig wechselnde regulatorische
eine deutliche höhere Akzeptanz, Qualität und Sicherheit. Vorgaben
Eine weitere positive Entwicklung ist die Etablierung der Neben den strukturellen Herausforderungen sind vor allem die
Digitalisierungs- und Transformationsverantwortlichen. In vie- gesetzlichen und regulatorischen Vorgaben wie unter anderem
len Kliniken wird die Chance einer neutralen Moderation und der Datenschutz eine zunehmende Herausforderung für die IT-
Strategieentwicklung, getrennt von der operativen IT, erkannt, Abteilungen. Neben unrealistischen Vorgaben wie in der Ori-
sodass zusätzlich in den Führungsstrukturen Positionen wie die entierungshilfe Krankenhausinformationssysteme (OH KIS)
eines Chief Digital Officers (CDO) oder Chief Medical Infor- bieten eine rechtzeitige Berücksichtigung und die Umsetzung
mation Officers (CMIO) entstehen. Die Unabhängigkeit ist der Maßnahmen aber auch die Chance auf Umsetzung der
dabei ebenso wie bei der Informationssicherheit unabdingbar, Wunschprozesse. Es bedarf in Deutschland dazu in Zukunft
um die Neutralität zu wahren. weiterer klarer und öffentlicher Stellungnahmen zum Beispiel
zur Nutzung von externen Rechenzentren oder zu dem Pati-
4. Management von Interoperabilität und entendatenaustausch, an denen sich die einzelnen Kliniken
Datenstrukturen orientieren können. So stünden heute nicht wenige Kliniken
Durch Interoperabilitätsvorgaben wie zum Beispiel IHE- vor einem unlösbaren Problem, wenn der Patient beim Betreten
Frameworks, ISIK (Schnittstellenstandard für Informati- der Klinik der elektronischen Verarbeitung seiner Daten nicht
onstechnische Systeme in Krankenhäusern) oder FHIR bei zustimmt.
DEMIS (Deutsches Elektronisches Melde- und Informations- An gesetzlichen Vorgaben wiederum mangelt es in Deutsch-
system für den Infektionsschutz) entsteht die Herausforde- land nicht. Vor allem in den vergangenen fünf Jahren über-
rung, eine Verantwortung für die medizinischen Daten, ihre schlugen sich neue Gesetze, die teilweise aufeinander verweisen,
Architektur und die Nutzung zu etablieren. Es ist längst nicht jeweils aber mit unrealistischen Planungszielen bzw. technisch
8 GMDS-Praxisleitfaden „Das vernetzte Gesundheitswesen“