Page 16 - gmds-praxisleitfaden
P. 16
■ der Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen ligten im Behandlungsprozess und insbesondere des Patienten
Der Patient fordert zunehmend die Kontrolle über seine medi- ist ausdrücklich gesetzlicher Gestaltungswille - doch auch hier
zinischen Daten. Die Nachfrage, Patientendaten über Einrich- zeigt sich, wie mühsam die Digitalisierung im Gesundheitswe-
tungs-, Fachrichtungs- und Landesgrenzen hinweg zu kommu- sen voranschreitet. (gematik, 2023)
nizieren, steigt.
Heute: „Wenn Sie keine Strategie haben,
■ Online statt offline sind Sie Teil der Strategie eines Anderen.“
Der Trend von Desktop zu Tablet, Software zu App, Patienten- Alvin Toffler
zu Gesundheitsakte und Server zu Cloud hält seit Jahren an. Am 29. Oktober 2020 trat das KHZG (Krankenhauszukunfts-
FHIR ist agil, unterstützt mobile Architekturen und verbindet gesetz (Bundesgesundheitsministerium, 2023)) in Kraft. Mit
Patienten ortsunabhängig mit ihren Daten. einem Investitionsprogramm verschafft der damalige Bundesge-
sundheitsminister Jens Spahn den Krankenhäusern ein digitales
■ Mehr Transparenz Update. Der Bund stellt ab dem 1. Januar 2021 3 Milliarden
Elektronische Patientenakten verhalten sich wie Datengräber. Euro bereit, damit Krankenhäuser in moderne Notfallkapazi-
Die Informationen, einmal archiviert, lassen sich von anderen täten, die Digitalisierung und ihre IT-Sicherheit investieren
Systemen kaum wieder abrufen, insbesondere nicht in kom- können. Die Länder steuern weitere Investitionsmittel von 1,3
patiblen Formaten. FHIR verhält sich wie eine offene Schnitt- Milliarden Euro bei, so dass ein Gesamtprogramm von 4,3 Mrd.
stelle, um die Daten aus diesen Gräbern zu heben. Unterschied- Euro entsteht, das gemäß dem zugrundeliegenden europäischen
liche Facetten einer Patientenakte werden in unterschiedlichen Konjunkturförderprogramm bis zum 31.12.2024 in den Kran-
Systemen gespeichert. Moderne Werkzeuge erlauben es, diese kenhäusern umgesetzt sein muss. Und nicht nur das, hat doch
verteilten Daten für den Anwender transparent zu aggregieren der Gesetzgeber in §5 Krankenhausentgeldgesetz auch gleich
und weiterzuverarbeiten. einen Abschlag vereinbart, falls die Förderkriterien bis zum
Ende der Laufzeit nicht vollumfänglich umgesetzt sind. (Justiz,
■ Mehr Analysen 2023)
Analysen benötigen transparenten Zugriff auf die Daten, doch Das KHZG war weder für die Krankenhauslandschaft noch
müssen diese auch in analysierbaren Formaten vorliegen. FHIR für die Industrie in dieser Form vorhersehbar und überraschend
verwendet Strukturen, die Auswertungen in die Breite sowie in (oder auch nicht): Es fehlt eine Strategie! Voraussetzung für
die Tiefe optimal unterstützen. Beim Einsatz von FHIR erüb- eine IT-Strategie ist eine Digitalstrategie, die sich wiederum aus
rigt sich die Notwendigkeit, beispielsweise CDA-Dokumente der Unternehmensstrategie ableitet. Das ist in vielen Kranken-
in atomare Konzepte zu zerlegen, um diese analysieren zu kön- häusern immer noch Zukunftsmusik, und so sind Berater und
nen. die Industrie in besonderem Maße gefordert.
Aus der Sicht der Industrie ergeben sich hier völlig neue Per- Gleichzeitig muss die Industrie ihre Software für die Anfor-
spektiven: Auf der einen Seite bedeutet das die Verabschiedung derungen des KHZG abrunden. Und das KHZG ist auch ein
von monolithischen Strukturen und der (zum Teil durch ISIK massiver Schub für die Interoperabilität, geht doch das gedank-
erzwungenen) Öffnung für Systeme auch des Wettbewerbs. Auf liche Modell hinter den Fördertatbeständen nicht mehr von
der anderen Seite ergibt sich aber Potential für neue Zugänge einer monolithischen Struktur, sondern immer mehr von Platt-
der eigenen Lösungen in den Markt. Es geht zukünftig darum, formen aus. Das führt mittel- bis langfristig zur Dekonstruk-
in Plattformen zu denken und Lösungen zu schaffen, die eine tion der heute vorhandenen Systeme – ein gutes Beispiel ist das
echte Differenzierung zum Wettbewerb und maximalen Nut- PACS: Die frühere Einheit aus Hardware, Datenspeicher und
zen für die Anwender schaffen. Software dekonstruiert sich in Storage, Middleware, Befund-
Startete HL7 schwerpunktmäßig mit der Interoperabilität workplace-Software etc. Es gibt also mehr als genug zu tun und
verschiedener IT-Systeme in einer Einrichtung, wurde immer es fehlt an „Armen und Beinen“ an allen Stellen gleichzeitig - d.
deutlicher, dass es auch Regelungen für den Austausch von h. Ressourcen sind äußerst knapp auf der Nachfrager- wie auf
Daten zwischen den Leistungserbringern im Gesundheitswesen der Anbieterseite. Es sind dringend kluge Ideen gefragt.
bedarf. Dazu wurde im Januar 2005 die gematik GmbH von
den Spitzenorganisationen des deutschen Gesundheitswesens Die Zukunft: "Ein Ziel ohne Plan ist nur ein
gegründet, um in Deutschland gemäß gesetzlichem Auftrag die Wunsch." - Antoine de Saint-Exupéry
Einführung, Pflege und Weiterentwicklung der elektronischen Das führt zur Frage „KIS aus der CLOUD“ – eine skalierende
Gesundheitskarte (eGK) und ihrer Infrastruktur voranzutrei- Software, standardisierte Prozesse für alle Krankenhäuser auf
ben, zu koordinieren und die Interoperabilität der beteiligten dem gleichen System und Nutzen statt Regulativ im Mittel-
Komponenten sicherzustellen. Auch dieses Regulativ führt für punkt des Softwareeinsatzes. Nutzen kann realisiert werden
die Industrie zu zusätzlichen komplexen Herausforderungen - durch Artificial Intelligence (AI) / Künstliche Intelligenz (KI)
eine nahtlose Nutzung digitaler Prozesse zwischen allen Betei- und deep learning.
16 GMDS-Praxisleitfaden „Das vernetzte Gesundheitswesen“